Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'22 - Hochrhein-Bodensee

12 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 6 | 2022 Leute Kopf des Monats Blick für das Wesentliche Sarah Kiefer | Die kleine Schublade SCHOPFHEIM. Manchmal wird Besitz zur Last. Wen es bedrückt, dass der Schrank überquillt, die Tupperschüs- seln aus dem Küchenschrank fallen oder der Schreib- tisch vor lauter Krimskrams nicht mehr zu sehen ist, kann Sarah Kiefer zu Hilfe rufen. Die gebürtige Pforzheimerin hat vor einigen Jahren ihr Faible für Ordnung und effizien- te Strukturen zum Beruf gemacht: Sie ist eine von rund 600 Ordnungscoaches in ganz Deutschland. Alles beginnt, als sie vor einigen Jahren mit ihrem Nach- barn die gemeinsame Garage auf Vordermann bringt. Regelrecht glückselig habe sie sich gefühlt, erzählt die 36-Jährige. Ihr Nachbar ist es auch, der ihr von Marie Kondo berichtet. Die Japanerin löste mit ihrem Minima- lismusansatz einen globalen Ausmist-Boom aus. Kiefer liest sich ein, eine Idee reift. Denn während der voran- gegangenen Arbeit in Start-ups wächst der Wunsch, nicht nur anderer Leute „unternehmerisches Baby“ großzuziehen. Ihre eigenen vier Wänden in Schopfheim, die die leiden- schaftliche Gärtnerin mit Partner und zwei Katzen teilt, sind nicht komplett pikobello, aber alles hat seinen festen Platz. Denn „Ordnung ist kein Lifestyle-Trend, sondern ein Lifehack“, also schlicht praktisch, findet Kiefer. Die Anfragen kommen oft Sonntagabend: „Manchmal merkt man, dass jemand das ganze Wochenende versucht hat, Ordnung zu schaffen, sich dann aber verzettelt hat“. Kondos Methode, nach festen Kategorien aufzuräumen, entspricht nicht ihrem Stil. „Wir fangen immer dort an, wo der Schuh am meisten drückt.“ Sie fragt zu Beginn: „Was wäre möglich, wenn es hier ordentlich und struk- turiert wäre? Das soll motivieren. Die Antworten der Kunden ähneln sich: Mehr Entspannung, mehr Konzen- tration, weniger Chaos. Mal wird die Küche optimiert, mal Kinderzimmer ausgemistet. Zwang gibt es nicht, nur Verbindlichkeit und tatkräftige Hilfe. Kiefer bringt Kisten mit, so sind am Ende des Einsatzes schon einige Sorgen verschwunden. Inzwischen berät die resolute Unternehmerin andere, die auch diesen Weg einschlagen wollen. Ganz einfach war »Ich mache nur Dinge, die ich machen will« der Start 2017 nämlich nicht. Als sie sich etwa als Ord- nungscoach beim Versicherer anmeldete, hieß es lapi- dar: Ach, Sie sind Putzfrau? Stolpersteine dieser Art, die an der Tagesordnung sind, wenn man einen Job macht, den noch keiner kennt, versucht sie für andere zu ebnen. Zum Beispiel, indem sie eine Facebookgruppe moderiert, in der sie mit 150 Ordnungscoaches vernetzt ist. Frei arbeiten, ohne dabei allein zu sein, ist ihr Ding. Dass sie sich oft und gerne traut, Neues anzugehen, führt Kiefer auch auf ihre Zeit im Gloria-Theater in Bad Säckingen zurück. Dort absolvierte sie vor gut zehn Jahren eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau. „Von Beginn an trug ich viel Verantwortung – in einem guten Maß, so dass ich über mich selbst hinauswachsen konnte.“ Als die Ordnungsberatung schon eine Weile läuft, über- legt Kiefer: Start-ups könnten eine Zielgruppe sein, denn oft geht es in ihren Beratungen im Grunde darum, effi- ziente Prozesse zu etablieren. Bei der Recherche stößt sie auf der Plattform „Meet Up“ auf ein Treffen zur Gründung der Startup-Academy Lörrach. Das findet im Co-Working-Space „Startblock“ statt. Dort lernt sie Anna-Christina Baden, die Geschäftsführerin der Startup-Akademy, kennen. Die beiden verstehen sich. „Irgendwann habe ich zu ihr gesagt: „Wenn es jetzt eine Startup-Akademy gibt, dann brauchen wir doch auch eine FuckUp Night.“ Das Format stammt aus Mexiko. In lockerer Atmosphäre erzählen Gründer un- terhaltsam von Situationen, in denen sie beruflich ge- scheitert sind. Das Motto: „Lerne aus den Fehlern der anderen und akzeptiere deine eigenen“. Baden sichert Unterstützung zu und stellt Kiefer Patrick Wermke von der Volksbank Dreiländereck vor, der Ähnliches plant. Die beiden zoomen, man ist sich einig: Die FuckUp- Night-Lizenz wird beantragt, eine GbR gegründet. Mit- ten in der Pandemie. Das erste persönliche Treffen findet eine Woche vor der ersten Veranstaltung statt. Inzwischen ist das Format eine Lörracher Institution. „Ich habe das Glück, nur noch Sachen zu machen, die ich gerne machen will“, sagt die überzeugte Netz- werkerin. Diese Dinge „haben sich so vor mir ausge- breitet“. Auch die Teilzeitstelle, die sich zu den zwei Selbstständigkeiten gesellt hat: Beim Startblock ar- beitet sie inzwischen als Community-Managerin und vernetzt weitere Menschen aus der New-Work-Szene. Sie hat ihr Pensum, wann sie das erfüllt, ist egal. So bekommt sie alle Leidenschaften unter einen Hut. Auch das Gärtnern. db KOPF des Monats

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