Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'22 -Südlicher Oberrhein
24 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 3 | 2022 REGIO REPORT IHK Südlicher Oberrhein Mentorinnen-Programm für Frauen mit Migrationsgeschichte Pfadfinderin für den Weg zurück in den Job Frau Lemmertz, welches ist das größte Hindernis für Frauen mit einer Migrationsgeschichte, wenn sie in Deutschland wieder zurück ins Berufsleben wollen? Ursula Lemmertz: Da gibt es individuell sehr große Unterschiede: Sie müssen in „Sprache“ und „Kultur“ ankommen. Sehr oft steht das Erlernen der deutschen Sprache im Vordergrund, bei anderen geht es um die Anerkennung der beruflichen Abschlüsse oder darum, dass der erlernte Beruf in Deutschland nicht ausgeführt werden kann und eine Neuorientierung ansteht. Viele der Frauen haben an ihren früheren Arbeitsplätzen Englisch gesprochen, was bei uns in Deutschland ja eher unüblich ist. Aber auch unser größtenteils noch sehr traditionell funktionierender Arbeitsmarkt macht es den Frauen schwer. Dazu gehört zum Beispiel ein „lückenloser Lebenslauf“. Diesen vorzulegen, ist bei uns sehr wichtig, aber viele der Frauen können ihre oft langen Berufsbiografien nicht durch Arbeitszeug- nisse nachweisen. Dazu kommt, dass die formale An- erkennung von Abschlüssen manchmal ausgesprochen schwierig und langwierig ist. Manche Frauen sind ge- zwungen, hier nochmal eine Ausbildung zu machen, um in einem Beruf arbeiten zu können, den sie in ihrem Land schon jahrelang sehr erfolgreich ausgeübt haben. Dafür braucht es schon sehr viel Motivation. Das klingt nach Herausforderungen unterschied- lichster Natur – auch für die Mentorinnen… Das ist richtig. Die Betreuung ist ausgesprochen in- tensiv und engmaschig. Sie dauert in der Regel neun Monate, und wir sind dankbar für jede Mentorin, die sich für dieses Ehrenamt zur Verfügung stellt. In diesem Jahr wollen wir acht Tandems betreuen, in ganz Baden- Württemberg sind es etwa 80 Tandems. Wie wichtig ist es, dass Mentorin und Mentee matchen? Es funktioniert nur, wenn zwischen Mentee und Men- torin „die Chemie stimmt“ und es ist optimal, wenn die Berufsbilder passen. Wir hatten zum Beispiel eine Automobilingenieurin aus Rumänien im Programm. Für sie fanden wir eine Mentorin, die ebenfalls Ingenieurin ist, und die half, ein Praktikum und eine längere Fort- bildung in die Wege zu leiten. Es nehmen aber auch Frauen teil, die ganz ohne Berufsausbildung sind. Dabei schauen wir sogar auf deren Hobbies – denn vielleicht lässt sich ja an dieser Stelle einhaken und ein neuer Weg tut sich auf. Es braucht aber immer ein hohes Maß an Motivation, damit eine Strategie der kleinen Schritte und die persönliche Unterstützung zum Ziel führen. Was wünschen Sie sich von Arbeitgeberseite für das Mentorinnenprogramm? Flexibilität und Offenheit von Arbeitgeberseite sind hilf- reich. Manchen Frauen wäre schon gedient, wenn sie wenigstens zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen würden oder ein Praktikum absolvieren könnten. Oft fehlt schlichtweg ein Zugang zum Arbeitsmarkt. Es ist wichtig, dass die Frauen einen Fuß in die Tür bekom- men. Aber auch von politischer Seite könnte etwas getan werden. So gibt es zum Beispiel für Lehrkräfte ausgesprochen restriktive Vorgaben. Selbst wenn eine Frau jahrelang in ihrem Herkunftsland als Lehrerin ge- arbeitet hat, reicht es in Deutschland nicht aus, wenn sie nur ein Unterrichtsfach unterrichten kann. Sie muss hier bei uns zwei Fächer studiert haben. Das muss man sich aber leisten können, dies nachzuholen. In Man- gelberufen wie im Pflegebereich ist der Arbeitsmarkt bereits offener und es werden Fachkräfte in ihren Hei- matländern rekrutiert. Wir haben in der Kontaktstelle Frau und Beruf in der Beratung Frauen mit tollen Le- bensläufen. Es wäre für alle zielführend, wir könnten sie als Fachkräfte an die richtige Stelle bringen. »Wir haben in der Kontakt- stelle Frau und Beruf in der Beratung Frauen mit tollen Lebens- läufen. Es wäre für alle zielführend, wir könnten sie als Fachkräfte an die richtige Stelle bringen« Ursula Lemmertz Beraterin bei der Kontaktstelle Frau und Beruf Freiburg – Südlicher Oberrhein Erfahrungen sind etwas sehr Persön- liches – und können auch nur auf persönlichem Wege weitergegeben werden. Ein Mentorat beschreibt genau das: Transfer von Erfahrungswissen in persönlichen Beziehungen – meistens als Personalentwicklungsinstrument eingesetzt. Das Mentorinnen-Programm der Kontaktstelle Frau und Beruf – Südlicher Oberrhein leistet dies: Frauen mit Berufserfahrung begleiten Frauen mit Migrationshintergrund, die beruf- lich ein- oder aufsteigen wollen. Ursula Lemmertz betreut das Mentorinnen- Programm, das bereits im sechsten Jahr läuft. Wir sprachen mit ihr über Hindernisse für migrantische Frauen, die in Deutschland beruflich Fuß fassen wollen und warum es für die Wirtschaft ein Luxus ist, weibliche Kompetenzen brachliegen zu lassen.
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