Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'22 -Südlicher Oberrhein
8 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 3 | 2022 tItel Bächle Specialty Coffee, Freiburg Abenteuer Corona-Gründung Juliane König hat lange nach einer Immobilie für ihr erstes Café gesucht. Als diese gefunden und der Mietvertrag unterschrieben war, ging Deutschland in den ersten Lockdown.Was tun? Die Jungunternehmerin renovierte wie geplant und stellte ihre Kaffeemaschine kur- zerhand ans Fenster. „Essen und Getränke zum Mitnehmen durfte ich ja verkaufen“, sagt Kö- nig, die im „Bächle“ Spezialitätenkaffee und selbstgemachte saisonale Speisen anbietet. Hinter dem Tresen stand sie erstmal allein. „Ich habe Kaffee verkauft, Kuchen gebacken und mich gleichzeitig um alles Unternehmerische gekümmert. Das war anstrengend, hat mir aber den Druck genommen, in dieser ungewissen Situation für Dritte verantwortlich zu sein.“ Dass sie durch Corona langsam in die Aufgaben als Gastronomin hineinwuchs, sieht die Quereinsteigerin positiv. Zudem hätten ihr in dieser „aufregen- den Zeit mit vielen Hochs und Tiefs“ die Gewissheit, dass die gesamte Branche vor den gleichen Herausforderungen steht, und das unterstüt- zende Netzwerk der Freiburger Gastronomen viel Kraft gegeben. Im Juli 2020, drei Monate nach Eröffnung, stellte die 32-Jährige ihre erste Mitarbeiterin ein, mittlerweile sind sie zu einem zehnköpfigen Team ge- wachsen.Wein-Pop-ups und andere After-Work-Veranstaltungen sorgen heute dafür, dass die Räume gemäß der Coronaauflagen bestmöglich ausgelastet sind. Juliane König ist zufrieden damit, wie sich das Bächle entwickelt hat: „Parallel zur Branche wirtschaften auch wir noch unter Plan. Aber ich arbeite mit einem tollen Team und wir erhalten viel positi- ves Feedback von unseren Gästen. Daraus ziehe ich meine Energie.“ ks Robert Ballier, Sachverständiger, Konstanz In Arbeit versunken Nicht, dass Roland Ballier zu wenig Arbeit gehabt hätte. Doch seit Beginn der Coronakrise weiß der Sachverständige für „nicht-aktive Medizinprodukte“ aus Konstanz nicht mehr, welche Anfrage er zuerst bearbeiten soll: Denn über die Qualität von Atemschutzmasken und Coronaschnelltests gibt es oft Streit. Landet der Konflikt vor Gericht, braucht es fachliche Expertise, die der frühere Vizepräsident der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg wie kein zweiter verkörpert. Mehr als 120 Verfahren seien, so sagt er, an Gerichten allein im deutschsprachigen Raum anhängig. In eine Vielzahl von ihnen ist er eingebunden. Auch das öffentliche Interesse an seiner Einschätzung ist groß, Verlagshäuser und Medienanstalten geben sich die Klinke in die Hand. „PR ist erfreulich, angesichts der Auftragslage aber nicht hilfreich“, sagt der 72-Jährige. Dennoch erklärt er stets gern, welche Kriterien FFP2-Masken erfüllen müssen. Drei Dinge stehen im Fokus: die Dichtigkeit („innere Leckage“) der Maske, die Filterfähigkeit des Materials und der Atemwiderstand. „Bei den Discountern und Apotheken kann man ziemlich sicher sein, dass die Ware okay ist“, sagt Ballier. Schwieriger sei dies beim Onlinehandel. Zusammen mit Zertifizierungsstellen hat Ballier vor einem Jahr das CCF-Label ins Leben gerufen: Unter www.maskenpruefung.de können Kunden die Echtheit des Siegels checken. In die Zukunft blickt der Allgemeinmediziner mit gemischten Gefühlen. Es gibt ein Nachwuchs- problem bei öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. Eine medizinische und technische Ausbildung – in seinem Fall einen „Dr. med.“ und einen „Dipl. Ing.“ – können nur wenige vorweisen. Die Arbeit wird ihm also bleiben. bb Haus der 1000 Uhren, Triberg Den digitalen Turbo gezündet Thomas Weisser hat es in der Pandemie gleich mehrfach getroffen. Nicht nur, dass seine drei „Haus der 1000 Uhren“-Laden- geschäfte über Monate geschlossen bleiben mussten, auch ein Großteil seiner Kundschaft, die seit Jahrzehnten von rund um den Globus anreist, musste coronabedingt zuhause blei- ben – und wird es wohl auch in diesem und in weiten Teilen des kommenden Jahres noch tun. So haben sich Weisser und sein 20-köpfi- ges Team zügig auf zwei ihrer Stärken beson- nen: die Lust am Experimentieren und an der Innovation. „Wir haben unseren sechssprachi- gen Onlineshop massiv ausgebaut und in mo- dernste Techniken investiert“, berichtet der Firmenchef. Per Zoom, Facetime & Co. können Kunden eine 1:1-Videoberatung in verschie- densten Sprachen bekommen, „als wenn sie bei uns vor Ort wären“. Auch wenn das On- linegeschäft nur für ein Grundrauschen, wie es der 59-Jährige nennt, reichte und es „ohne Kurzarbeit und Coronahilfen nicht gegangen wäre“, seien im Lockdown Dinge entstanden, „die wir auch in Zukunft nutzen und ausbau- en können“. Die „Haus der 1000 Uhren“-App etwa. Im eigenen TV-Studio entstehen neben normalen Videos nun auch Virtual- und Augmented-Reality-Produktionen. In Sachen internationalem Influencermarketing habe man die Zeit genutzt, um auszuprobieren, was funktioniert und was nicht. „In normalen Zeiten hätten wir das alles nicht in diesem Tempo umgesetzt, das Tagesgeschäft wäre immer vorgegangen.“ Die Kompetenzen der Belegschaft rund um Videoproduktion, VR- Technologie und Softwareprogrammierung will er jetzt bündeln und weiter aufstocken, „damit wir unsere Expertise bald Dritten als Dienstleistung anbieten können.“ Es sei, stellt Thomas Weisser fest, nicht leicht gewesen, die Mitarbeiter und sich selbst stets neu zu motivieren. „In der Achterbahn wirst du am tiefsten Punkt immer ordentlich gestaucht.“ Aber: Nach jedem Sturm komme die Sonne – und dann müsse man gerüstet sein. uh Bild: Florian Forsbach Bild: Susanne Maerz
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