Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'22 -Schwarzwald-Baar-Heuberg

48 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 3 | 2022 Praxiswissen RECHT COMMERCIAL COURT Zwei Kammern für spezielle Fälle IHK Hochrhein- Bodensee: Barbara Schlaberg, 07531 2860-136, barbara.schlaberg@ konstanz.ihk.de IHK Schwarzwald- Baar-Heuberg: Wolf-Dieter Bauer, 07721 922-168, bauer@vs.ihk.de IHK Südlicher Ober- rhein: Markus Czogalla, 0761 3858-250, markus.czogalla@ freiburg.ihk.de Bilder: Patrick Melin: foto@bopicture.de; Adobe Stock, AA+W Patrick Melin Vorsitzender Richter am Commercial Court, Stuttgart Vor gut einem Jahr eröffnete das Land Baden-Württemberg den bundesweit ersten Commercial Court. Was dahintersteckt und bei welchen juristischen Auseinandersetzungen er eine Option für Unternehmer sein kann. G roße Fensterfronten, bunte Sitzmöbel, moderne Videotechnik: Obwohl die Räume des Stuttgarter Commercial Court eher an eine Großkanzlei als einen Gerichtssaal erinnern, werden hier regelmäßig rechts- kräftige Urteile gefällt, unter anderem vom Vorsitzen- den Richter Patrick Melin. „Wir verhandeln zum Beispiel Prozesse, in denen es um Handelsgeschäfte mit einem Streitwert von mindestens einer Million Euro geht“, er- klärt der promovierte Jurist. Vor allem alle Streitigkeiten beim Kauf oder Verkauf von Firmen(anteilen) sowie ge- sellschaftsrechtliche Streitigkeiten landen als Spezial- materien hier, und zwar unabhängig vom Streitwert. Der Commercial Court wurde von Landesseite eingeführt, um Unternehmen bei obigen Rechtsfällen eine weitere Alternative etwa zu (privaten) Schiedsgerichtsverfahren zu geben, die aktuell bei Wirtschaftsstreitigkeiten oft zum Einsatz kommen. Commercial Court in der Praxis Der Commercial Court selbst – mit seinen beiden Standorten in Stuttgart und Mannheim – ist kein ei- genständiges Gericht, sondern besteht jeweils aus einer Wirtschaftszivilkammer und einer Kammer für Handelssachen, die dem Landgericht Stuttgart be- ziehungsweise Mannheim angegliedert sind. Für Unternehmen heißt das: Wenn ihr Fall mal vor dem Commercial Court verhandelt werden soll, müssen sie zum Beispiel das Landgericht Stuttgart im Vorfeld vertraglich als Gerichtsstand definieren. Diese Opti- on steht allen Unternehmen im In- und Ausland offen – und wird gerne auch im internationalen Geschäft genutzt, wie folgender Praxisfall zeigt: Ein Unterneh- men aus der Schweiz verkaufte einem chinesischen Investor die Mehrheit der Anteile an einem großen portugiesischen Automobilzulieferer und erklärte das Landgericht Stuttgart im Streitfall für zuständig. Als der Investor später meinte, über die Wirtschaftskraft des Portugiesen getäuscht worden zu sein, reichte er beim Landgericht Schadensersatzklage ein, das diese an den Commercial Court weiterleitete. Hybride Verhandlungsführung in Englisch Wie laufen Prozesse dort ab? „Unser Anspruch ist es, diese möglichst effizient zu gestalten und dabei her- vorragende juristische Arbeit abzuliefern. Anders als andere Gerichte ist unsere Richterbank zum Beispiel regelmäßig mit drei Richtern besetzt, normalerweise wird das Urteil nicht allein getroffen“, erklärt Patrick Melin. Am Beispiel des schweizerisch-chinesischen Rechtstreits skizziert er, was die Stuttgarter Richter unter Effizienz verstehen: „Um die Distanzen zwischen den Parteien zu überbrücken, haben wir ein hybrides Verfahren gewählt. Die Anwälte beider Seiten saßen im Commercial Court, der Kläger war per Videokonferenz aus China zugeschaltet. Für den Kläger hatte dies den Vorteil, nicht tausende Kilometer reisen zu müssen. Die Parteien konnten sich, nachdem sie sich unter Mithilfe der Kammer auf einen umfassenden Vergleich geeinigt hatten, zeitnah wieder ihren unternehmerischen Auf- gaben widmen.“ Dass in englischer Sprache verhandelt wurde, habe die Abläufe zudem verschlankt. Möglich macht dies eine Ausnahmeregel im Gerichtsverfassungsgesetz, die es erlaubt, bei mündlichen Verhandlungen auf Dolmetscher und die Übersetzung von Dokumenten zu verzichten. Optimistische Zwischenbilanz Bislang sind bei Patrick Melin und seinen vier Kollegen in Stuttgart im Rahmen ihrer Spezialzuständigkeit be- reits über 350 Fälle eingegangen. „Die Resonanz auf unsere Verfahrensweise und unsere Räumlichkeiten ist gut, wir erhalten viele ermutigende Signale“, stellt Melin fest. Positiv wertet er auch, dass Großkanzleien nach und nach auf den Commercial Court aufmerksam werden und mehr über das Angebot erfahren möchten, um ihre Klienten darüber zu informieren. ks Mehr dazu unter www.commercial-court.de

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