Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Dezember'21 -Südlicher Oberrhein
10 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 12 | 2021 tItEl Jörg Dattler (49) Geschäftsführer des Schlossbergrestaurants Dattler in Freiburg und Leiter der Fachgruppe Berufsbildung beim Dehoga-Kreisverband Freiburg Wie beurteilen Sie die Personalsituation im Gastgewerbe in Südbaden? Jörg Dattler: Die lage ist dramatisch. So deutlich muss man es sagen. Nach allem, was ich von Kollegen höre, und auch mit Blick auf meine eigenen Erfahrungen gibt es quasi keine Stellenneubesetzung mehr, die unprob- lematisch läuft. Es gehen teilweise gar keine Bewerbungen auf Anzeigen hin mehr ein. Für unseren Betrieb war das bislang noch einiger- maßen zu verkraften, weil wir im Zuge einer Umstrukturierung sowieso Personal reduziert haben – aber auf längere Sicht ist das alles sehr bedenklich. Mich erstaunt und bestürzt, dass man Ähnliches aus fast allen Branchen hört. Wie reagieren Sie? Ich denke, schnelle Patentlösungen gibt es leider nicht. Wir haben uns aber nun ent- schlossen, bei den Betriebsschließungszei- ten Anpassungen vorzunehmen. So werden wir erstmals über die Weihnachtsfeiertage nicht öffnen, weil etlichen Mitarbeitern eine Auszeit in dieser Phase sehr wichtig ist. Auch wollen wir kommendes Jahr zum ersten Mal in der Hochsaison im Sommer zwei Wochen Betriebsferien einlegen. Denn immer gab es Diskussionen darum, wer im Sommer frei be- kommt – was einfach viele Mitarbeiter möch- ten. Und wir hätten sonst immer mühsam jonglieren müssen angesichts der dünnen Personaldecke. Natürlich verfügen wir schon lange über eine minutengenaue Arbeitszei- terfassung. Das ist ja Standard heute. Was raten Sie den Kollegen Ihrer Branche? Man kann sicher noch an manchen Stell- schrauben drehen, um die Arbeitgeberattrak- tivität zu erhöhen. Wir setzen uns über die Industrie- und Handelskammern auch stark dafür ein, damit Arbeitskräfte aus Drittstaaten leichter in Deutschland eine Arbeit aufnehmen können. Aber letztlich muss es auch um die Frage der Vergütung gehen. Wir bezahlen die- ses Jahr zum Beispiel einen Coronabonus an alle, die uns die treue halten. Und ich denke, wir werden steigende Vergütungen, aber auch weiter steigende Preise in der Gastronomie sehen. Interview: hos Auch andere Arbeitgebersiegel von „top-Job“ über „Fair Company“ und „Great Place to Work“ bis zum „Audit Beruf und Familie“ können für die Profilierung bei Bewerbern hilfreich sein. Die teilnahme ist in der Regel aber mit – mal mehr, mal weniger hohen – Kos- ten und Arbeit verbunden. Ob der Einsatz lohnt, muss jedes Unternehmen für sich analysieren. Von recht großer Bedeutung ist es aber mittlerweile, die eigenen Profile bei Arbeitgeberbewertungsportalen wie etwa Kununu und Glassdoor aktiv zu pflegen. Berufe aufwerten, Arbeitsbedingungen verbessern Während es in manchen Berufsgruppen oder Branchen „ausreicht“, sich nur wirkungsvoll genug vom Wett- bewerber abzuheben, sehen sich andere Arbeitgeber der Aufgabe gegenüber, das Arbeiten in ihrer Branche überhaupt anpreisen zu müssen. Schichtdienst, Wo- chenendarbeit oder Abendeinsätze wie etwa in Ho- tellerie und Gastronomie, im Speditionswesen oder in der Pflege machen es Unternehmen nicht leicht, Bewerber zu motivieren und erfahrene Kräfte zu halten, wenn es in anderen Branchen immer mehr einfachere Alternativen für sie gibt. Ideen, wie man gegensteuern kann, haben zum Bei- spiel Jörg Dattler vom Schlossbergrestaurant Dattler in Freiburg (siehe Interview rechts) und das Hotel Rit- ter Durbach. Das Vier-Sterne-Haus an der Badischen Weinstraße hat sein Personalkonzept jüngst neu aufge- stellt und bietet Mitarbeitern neben übertariflichen Ge- hältern auch ein Mitarbeiterferienhaus am Bodensee und einen eigenen Conciergeservice, der Erledigungen für die Kollegen übernimmt. Vor allem aber verspricht es mit einer Vier-tage-Woche eine lösung für die nicht immer ganz so leicht mit der Work-life-Balance zu vereinbarenden Arbeitszeiten in der Hotellerie. Unterm Strich kann als Erfolgsfaktor für die Fach- kräftewerbung und -bindung wohl gelten: Viel hilft viel. „Man sollte die Stärken des Unternehmens he- rausstellen und dabei aus allen Rohren schießen“, rät Simon Kaiser von der IHK Südlicher Oberrhein. „Es gilt, alle verfügbaren Hebel zu nutzen, die ich als Arbeitgeber habe, um potenzielle Bewerber anzuspre- chen – etwa auch eigene Mitarbeiter als Multiplikato- ren einzusetzen.“ Holger Schindler IHK Hochrhein- Bodensee: Alexander Graf 07622 3907-213 alexander.graf@ konstanz.ihk.de IHK Schwarzwald- Baar-Heuberg: Philipp Hilsenbek 07721 922-126 hilsenbek@vs.ihk.de IHK Südlicher Oberrhein: Simon Kaiser 0761 3858-150 simon.kaiser@ freiburg.ihk.de
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