Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'21 -Südlicher Oberrhein

48 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 6 | 2021 Themen & Trends Sehen Sie eine Insolvenzwelle kommen? Ich glaube nicht, dass gleich eine Welle kommt, ich glaube eher, die Insolvenzen werden sukzessive mit einer zeitlichen Verzö- gerung zunehmen. 2020 hatten wir deutlich weniger Insolvenzen als im Vorjahr, aber es gab weiterhin kränkelnde Unternehmen, vor al- lem in der Automobilbranche. Die sind ja nicht plötzlich gesund geworden. Das Kurzarbeiter- geld hat viele bislang gerettet. Das Problem ist, dass die Aussetzung der Pflicht zur Anmeldung einer Insolvenz nur für bestimmte Unterneh- men galt. Sie mussten pandemiebedingt in der Krise sein, ein positives Jahresergebnis 2019 und einen Umsatzeinbruch von mindestens 30 Prozent 2020 vorweisen. Außerdem muss- ten sie Hilfen beantragt haben und wissen, dass diese, wenn sie kommen, ausreichen, um den Insolvenzgrund zu beseitigen. Wenn man 50.000 Euro beantragt, aber 500.000 Euro Verbindlichkeiten hat, weiß man schon beim Beantragen: Die reichen nicht. Dann hätte man bereits vor Ende April einen Insol- venzantrag stellen müssen. Ich fürchte, dass es bei vielen ein böses Erwachen geben wird. Was meinen Sie damit? Wenn diese Unternehmen in ein Insolvenz- verfahren gehen, wird ein Insolvenzverwalter bestellt. Der prüft, wann Zahlungsunfähigkeit vorlag und ob der Geschäftsführer danach weitergewirtschaftet hat und Gläubiger hin- zugekommen sind. In diesem Fall ist der Un- ternehmer schadenersatzpflichtig und macht sich zusätzlich der Insolvenzverschleppung schuldig. Viele gebeutelte Unternehmen melden nicht Insolenz an, sondern ihr Gewerbe ab. Wie schätzen Sie da die Entwicklung ein? Das kann ich schwer beurteilen, da diese Unternehmen zunächst keinen Insolvenzan- trag stellen und somit nicht von mir betreut werden. Aber wenn ich zahlungsunfähig oder überschuldet bin, hilft mir eine Abmeldung nicht aus dem Insolvenzgrund heraus. Wenn ich die Gläubiger nicht befriedigen kann, muss ich Insolvenz anmelden. Sonst kann ich das Unternehmen nicht liquidieren. Wie schätzen Sie die Situation in den von Corona besonders gebeutelten Branchen wie Gastronomie und Hotellerie ein? Ich denke, in der Gastronomie wird es relativ zügig wieder aufwärts gehen, wenn geöffnet wird. Die meisten Unternehmen konnten sich mit Kurzarbeit und Überbrückungshilfen eini- germaßen über Wasser halten. Da sehe ich eher ein Problem, ob sie genügend Arbeits- kräfte gewinnen können. Vor allem viele Mi- nijobber haben sich anders orientiert. Das gilt auch für Hotels. In der Hotellerie sehe ich zwei Tendenzen: Ich denke, wer vor der Pandemie auf Touristen gesetzt hat, dessen Geschäft wird wieder anziehen - auch wenn asiatische und amerikanische Gäste im Hochschwarz- wald sicher noch auf sich warten lassen. Bei Tagungshotels und denjenigen, die auf Mes- segäste angewiesen sind, wird es sich sicher erst in den nächsten zwei bis drei Jahren zei- gen, ob das Geschäft wieder so kommen wird wie vorher. Da stellt sich die Frage, wie sie vor der Krise finanziell ausgestattet waren. Das Wesentliche ist, wem die Immobilie gehört, ob sie abbezahlt ist, ob es ein Franchisenehmer oder gar eine Kette ist. Davon hängt meist ab, ob die staatlichen Hilfen ausreichen oder nicht. Welche Alternativen gibt es zur Insolvenz, und was bringt das Starug, das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturie- rungsrahmen für Unternehmen, das es seit Jahresbeginn gibt? DIRK PEHL Der promovierte Jurist, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter Dirk Pehl (42) ar- beitet seit 2007 bei der Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH mit Sitz in Achern. Seine Spezialgebiete sind Insolvenzverwaltung, Sachwaltung, Anfechtung und Insolvenzplanverfah- ren. Schultze & Braun ist nach eigenen Angaben ein führender Dienstleister für Insolvenzverwaltung und Beratung im Sanierungs- und Insolvenzrecht. An rund der Hälfte aller deutschen Insol- venzgerichte werden Beschäftigte des Unternehmens als Insolvenzverwalter oder Sachwalter bestellt. An 40 euro- päischen Standorten sind mehr als 600 Mitarbeiter beschäftigt. » Keine Welle, aber zeitliche Verzögerung « Die coronabedingte Schonfrist ist vorbei: Seit Mai müssen wieder alle überschuldeten und zahlungsunfähigen Unterneh- men Insolvenz anmelden. Was das für Auswirkungen auf die regionalen Unternehmen hat oder haben könnte, schätzt der Fachanwalt für Insolvenzrecht und Insolvenzverwalter Dirk Pehl ein. Interview mit Insolvenzverwalter Dirk Pehl über drohende Insolvenzen

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