Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'21 - Hochrhein-Bodensee

7 6 | 2021 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten TITEL Stadtentwicklung Innenstadt geht alle an S amstagmittag, Anfang Mai, in einer Seitenstraße des Rottweiler Marktes. Der Eingang zu dem kleinen Hut- geschäft ist mit einem Tischchen verstellt, damit kei- ner den liebevoll dekorierten Laden betritt. Click & Collect eben. Zwei Stammkundinnen bekommen ihre bestellten Waren herausgereicht, ein kleiner Plausch ist trotz Mas- kenpflicht und Mindestabstand noch drin. Die Inhaberin freut sich überschwänglich, dass ab Montag möglicherweise wieder Click & Meet möglich sein wird. Vielleicht. Wenn die Inzidenzen mitspielen. – Sie tun es nicht. In anderen Kommunen der Region ist man schon weiter: Shoppen ohne Termin, dafür mit Maske und Luca-App. Öffnungen in der Gastronomie sind im Gange. Dennoch ist man auch hier noch weit entfernt vom Normalzustand einer belebten Innenstadt. Kommunen, Citymanager, Gewerbevereine und die Ladenbesitzer selbst geben seit Beginn der Pan- demie und der Lockdowns ihr Bestes, um das Schlimmste zu verhindern. Bei den meisten ganz oben auf der Liste stand dabei die Digitalisierung der Händler und Gastronomen. Mancher hat quasi über Nacht einen Onlineshop oder -be- stelldienst aus dem Boden gestampft, andere brauchten Schützenhilfe. „Wir unterstützen die Händler zum Beispiel gerade sehr aktiv mit Schulungen, Vorlagen für Kampagnen, Banner und Flyer, um ihre Onlinesicht- barkeit zu erhöhen“, berichtet Rottweils Innenstadtmanagerin Tamara Retzlaff ex- emplarisch. In vielen Kommunen sind während der Pandemie eigene Lieferdienste für lokale Produkte entstanden, um Online- handelsriesen wie Amazon etwas entgegenzusetzen. In Rottweil ist das Angebot folgerichtig mit „Wir sind schneller als Amazon“ plakatiert, in Endingen heißt es mit Lokalkolorit „Ändingä bringts“, und in Elzach fanden sich, so berichtet Bürgermeister Roland Tibi, aus dem Verwaiste Fußgängerzonen und leere Biergärten sind noch nicht lange passé, Händler und Gastronomen sind weiter in großer Bedrängnis. Die Pandemie zehrt kräftig an der Vitalität der Innenstädte. Aber auch zuvor hatten viele schon Proble- me. Um die alte – oder eine neue – Aufenthaltsqualität in die Stadtzentren zu bekommen, werden sie sich komplett neu erfinden müssen, sagen Experten. Mit frischen Ansätzen und zusätzlichen Protagonisten. Stegreif Bürger zusammen, die seither ehrenamtlich Bestellungen ausfahren. Das hält Umsatz in der Region, ebenso wie die vielerorts aufgelegten „Kauf lokal“-Imagekampagnen und lokale Ein- kaufstaler, wie sie etwa Herbolzheim, Kehl, Neuenburg und Tiengen (Hochrhein) haben. In Rottweil arbeitet man an einer E-Wallet-fähigen Version, und Schramberg bindet mit seiner Schramberger Jobkarte bereits 650.000 Euro steuerfreien Sachbezugs in der heimischen Wirtschaft. Hinter allem steht auch die Idee, das Herz der Bevölke- rung für das ansässige Gewerbe (wieder)zugewinnen. Dem Handel ein Gesicht geben, erklärt Nikola Kögel, Buchhändlerin und Geschäftsführerin der Aktionsge- meinschaft Tiengen. „Unsere Stärke hier liegt in den kleinen individuellen Läden. Deshalb haben wir aktuell die Kampagne Tiengener Spitzen gestartet, um die Viel- falt unserer Stadt zu zeigen.“ Händler und Gastronomen werden in kurzen Youtube-Videos, auf großen Plakatwän- den und in den Schaufenstern der Innenstadt porträtiert. So etwas kann Menschen ebenso an ihre Stadt binden und in die Fußgängerzone bringen wie zur Weihnachtszeit der Krippenpfad entlang der Elzacher Schaufenster oder wie aktuell die großformatigen Fahnen von „Endingen blüht auf“– auch wenn das Einkaufserlebnis vielerorts durch Click & Collect/Meet immer noch getrübt ist. Den Laden zum Laufen bringen Mit den sich nun abzeichnenden Öffnungen stellt sich allen Stadtkümmerern die Aufgabe, coronakonform wieder für annehmbare Passantenfrequenzen in den Innenstädten zu sorgen. Die Vernetzung der Corona- Testzentren mit den Innenstadthändlern und die Ver- breitung der Luca-App sind zum Beispiel hilfreich, um den Bürgern die Rückkehr in die Geschäfte so einfach wie möglich zu machen. „Wir rechnen für die Bodensee- und Hochrhein-Region durch die gestückelten Öffnungsschritte von Handel und Gastronomie, sowie durch die veränderten Nutzungsge- wohnheiten der Menschen erstmal mit weniger Kunden in den Innenstädten“, stellt Lena Häsler, Ansprechpart- nerin für die Handels- und Dienstleistungsbranche bei der IHK Hochrhein Bodensee, fest. „Deshalb beschäfti- gen sich viele Standortgemeinschaften hier gerade ganz akut mit der Frage, welche Aktionen geeignet sind, um die Menschen zurückzuholen. Unser Standorthelden- Netzwerk unterstützt diesen Prozess.“ „Wir planen für die Öffnung, aber auch für Aktionen, die mit und ohne Öffnung funktionieren“, erklärt Nikola Kögel 25 bis 30% der Ladenbesitzer in kleineren Gemeinden wollen ihre Geschäfte binnen zehn Jahren aufgeben. Quelle: Erhebung vor Corona im Kammerbezirk durch Thomas Kaiser, IHK Südlicher Oberrhein. Bilder: Irina Hugger, hugger-gestaltung.de; M.studio - Adobe Stock (Taschen)

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