Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Mai'21 -Schwarzwald-Baar-Heuberg
49 5 | 2021 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Die Pandemie verhagelt Ihnen leider ein bisschen das Jubiläum. Wie kommt der WVIB insgesamt mit Corona zurecht? Münzer: Wir sind an sich ganz gut in die On- linemeeting-Welt umgezogen. Aber wir leben natürlich – wie eine IHK auch – von der Be- gegnung. Und wenn die nur virtuell stattfindet, leidet da schon ein biss- chen was. Für mich ist Online wie Dosenravio- li. Schmecken dann gut, wenn es nichts anderes gibt. Ich glaube, nach der Pandemie wird es wohl auch weiter hin und wieder Dosenravioli ge- ben, aber in jedem Fall wird man wieder frisch gekocht haben wollen. Der WVIB blickt auf 75 Jahre zurück. Wie hat sich Deutschland in dieser Zeit als Wirtschaftsstandort verändert? Burger: Unser Ziel als Verband ist ja, den un- ternehmerischen Ge- danken frisch zu halten. Das wird heutzutage immer schwieriger. An- ders als in unserem Gründungsjahr ist die Aufbruchstimmung im Land verflogen, man hat eher das Gefühl, wir sind nicht mehr da, wo wir mal waren. Der Standort verkrustet. Deutschland wird risikoaverser, bürokrati- siert. Corona hat das offengelegt. Der Un- ternehmer, der einfach Lust hat, etwas zu tun, dem macht man es immer schwerer. Das fängt bei Grenzwertschwellenorgien an und hört beim Lieferkettengesetz längst nicht auf. Firmenchefs verdrahten sich mittlerweile sehr rege rund um den Globus via Xing, Linkedin & Co. Warum braucht es den- noch nicht virtuelle Unternehmerkreise? Münzer: Ich würde Xing et cetera gar nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung, als eine Art Außenradar oder verlängerten Arm für uns sehen. Ein stets aktuelles On- lineadressbuch. Aber schafft man sich dort wirklich ein Netzwerk? Das entsteht doch, indem man sich regelmäßig sieht und spricht. Indem man Freud und Leid teilt. Indem man zu Weggefährten wird. So etwas initiiert man nicht übers Internet. Bei uns nennen wir das Wissen und Wärme. Macht Ihnen als Verband für die Industrie der stetige Wandel zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft Kopfzerbre- chen? Burger: Dienstleistung braucht Industrie. Sonst kocht man im eigenen Sud und hat nichts zu verkaufen. Es braucht den Indust- riestandort Deutschland. Nur, wenn wir die eigene Wertschöpfung ein Stück weit im Haus haben, können wir sie beeinflussen und verbessern. Wir brauchen die Industrie als Kern. Sie hält uns auch jetzt während der Pandemie wieder gesamtwirtschaftlich über Wasser. Und Industrie ist ganz klar eine Stär- ke von Baden-Württemberg. Münzer: Zudem wandelt sich ja auch die Industrie. In ihr selbst steckt immer mehr Dienstleistung und Information. Ein CAD-Ar- beitsplatz ist de facto nichts anderes als eine interne Dienstleistung. Und der Mitarbeiter, der vor 30 Jahren noch im Blaumann im Öl stand, ist heute ein Technologe. Wie hat sich das Unternehmertum in den vergangenen fünf bis zehn Jahren in der Region verändert? Burger: Wir sehen, dass die Zahl traditionell familiengeführter Unternehmen abnimmt. Dafür kommen immer mehr Fremdgeschäfts- führungen hinzu. Andere verkaufen ihre Un- ternehmung auch ganz, und sie findet sich dann in einer internationalen Holdingstruk- tur wieder. Das wird mittel- und langfristig möglicherweise die Zusammensetzung der Wirtschaftsregion verändern. Wir leben in einer glo- balisierten Wirtschaft. Was können regionale Verbände da leisten? Münzer: Sie vereinen das Beste aus beiden Welten: Im Gegensatz zu früher, wo es Wochen dauerte, bis Informationen von global zu lokal durchge- reicht waren, haben regi- onale Verbände nun dank des Internets im Nu den gleichen Wissensstand wie übergeordnete Ins- titutionen. Damit steht die ganze Welt quasi auf der Türschwelle. Und zu- gleich sind es die Vereini- gungen vor Ort, in denen man sich kennt, trifft und austauscht. Interview: uh »Online- meetings sind wie Dosenravioli. Schmecken, wenn es nichts anderes gibt« Christoph Münzer Hauptgeschäftsführer WVIB »Der Standort verkrustet. Deutschland wird risiko- averser, büro- kratisiert« Thomas Burger Unternehmer und Präsident des WVIB MEILENSTEINE IN DER WVIB-GESCHICHTE 9. Mai 1946: Gründung als übergreifende Fachvereinigung der Metallindustrie in der französischen Besatzungszone. DerWVIB ist Ansprechpartner der Franzosen und Rohstofftauschbörse. 1957: Die Freiburger Volkswirtin Magda Scheffelt übernimmt für die folgenden 28 Jahre die Hauptgeschäftsführung. Sie ist in der Nachkriegszeit eine der ersten Frauen an der Spitze eines bundes- deutschen Verbandes. 1965: Die ersten vier Gruppen, in denen sich Unternehmenslen- ker austauschen, entstehen. Heute sind es 51 Erfa-Gruppen mit rund 800 Chefs. 1970: Aus dem „Wirtschaftsverband Eisen- und Metallindustrie Baden (französische Zone)“ wird der „Wirschaftsverband Indus- trieller Unternehmen Baden e.V.“ – kurz WVIB. 1983: Die Industriemesse IE geht erstmals an den Start, mit 35 Ausstellern und 1.100 Besuchern, heute sind es rund 350 Aus- steller und 10.000 Besucher. 1999: DerWVIB bezieht einen eigenen Campus in der Merzhauser Straße in Freiburg. 2017: Der WVIB setzt sich mit der Kampagne „Einigkeit.Recht. Freiheit“ für Demokratie und Rechtsstaat angesichts populistischer Tendenzen in Europa ein. Außerdem nennt er sich um in WVIB Schwarzwald AG. 2018: Der WVIB führt erstmals über 1.000 Veranstaltungen pro Jahr für seine Mitglieder durch. 2021: DerWVIB gründet ein Netzwerk für Frauen in der Industrie.
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