Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe März'21 -Südlicher Oberrhein

10 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 3 | 2021 TITEL Gastronomie sowie die Veranstaltungs- und Freizeit- branche, die ab November schließen mussten, kann er indes nicht nachvollziehen. Ein bis zwei Tage nach Antragstellung sei an die Mandanten seiner Kanzlei ein Abschlag von 50 Prozent gezahlt worden. „Es ist aber zum Teil eine Enttäuschung da, weil die unterschiedli- chen Hilfen miteinander verrechnet werden“, sagt Rau. Wer Novemberhilfe beantragt hat, aber auch Kurzarbei- tergeld bezieht und Überbrückungshilfe erhalten hat, bekomme bei Weitem nicht die maximal möglichen 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat. Rau begrüßt es daher, dass gerade für kleine Unterneh- men – das sind neben Soloselbstständigen auch viele Gastronomen – in Baden-Württemberg im Rahmen der Überbrückungshilfe I und II ein Unternehmerlohn von maximal 1.180 Euro im Monat eingeführt wurde, der nicht auf die Monatshilfen angerechnet wird Konnten die Unternehmen die Soforthilfen im vergan- genen Frühjahr noch selbst beantragen, sind dafür nun angesichts von Betrugsfällen die Steuerberater zustän- dig. „Das ist für uns ein erheblicher Mehraufwand in einer Zeit, in der wir angesichts der Jahresabschlüsse voll ausgelastet sind“, sagt Rau. Finanziell lohnen wür- de sich das Zusatzgeschäft nicht, es sei eher Service für die Mandanten. Insolvenzen Weil die staatlichen Coronahilfen so schleppend aus- gezahlt werden, ist derzeit die Insolvenzpflicht für alle Unternehmen, die Anspruch auf diese Hilfen haben, ausgesetzt (Stand bei Redaktionsschluss: bis Ende April). Aber was kommt danach? „Es ist schon davon auszugehen, dass die Coronapandemie eine Brems- spur hinterlassen wird“, sagt Ingo Schorlemmer von Schultze & Braun mit Blick auf künftige Insolvenzen. „Aber ob es ein Tsunami wird oder sich über einen län- geren Zeitraum zieht, lässt sich jetzt noch nicht sagen.“ Er rechnet damit, dass vor allem bestimmte Teile der Wirtschaft betroffen sein werden – zum Beispiel Hotels, die auf Dienstreisende und Tagungen spezialisiert sind, die Veranstaltungsbranche vom Messebauer bis zum Technikdienstleister sowie die Reisebranche und alle, die von ihr abhängen bis hin zum Flugzeugbauer und deren Zulieferern oder Dienstleistern. Alles hängt sei- ner Ansicht nach davon ab, wie gut die verschiedenen staatlichen Maßnahmen wirken. Das sind neben den Coronahilfen das Kurzarbeitergeld und das zum Jahres- beginn in Kraft getretene neue Insolvenzrecht (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, Starug), das helfen soll, angeschla- gene Unternehmen auch ohne Insolvenzverfahren zu sanieren. All das kann dazu führen, „dass die Insolven- zwelle abgemildert wird“, so Schorlemmer. Wirtschaftliche Entwicklung „Wenn man die Wirtschaft differenziert betrachtet, dann kann man klar sagen, dass wir im vergangenen Jahr noch relativ glimpflich davongekommen sind“, sagte Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, Leiter des dortigen Walter Eucken Instituts und bis Ende Februar Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamt- wirtschaftlichen Entwicklung (ob er für eine weitere Amtszeit berufen wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest), im Januar-Podcast der IHK-Südlicher Oberrhein. „Schrille Töne“ höre man natürlich von de- nen, die besonders stark betroffen sind. „Wer nicht klappert, der kann auch nicht erwarten, dass die Politik ihm irgendetwas gibt“, ordnete Feld dies ein. Bereits im März vergangenen Jahres hatte der Sachverständi- genrat in einem Sondergutachten ein Schrumpfen der Wirtschaft im Jahr 2020 um 5,4 Prozent vorausgesagt – eine realistische Einschätzung, wie sich laut Feld gezeigt hat. Für 2021 prognostizierten die Wirtschafts- experten vergangenen Herbst noch ein Wachstum von 3,7 Prozent – trotz Restriktionen im Winterhalbjahr. So starke Verschärfungen, wie sie dann ab Dezember beschlossen wurden, hatten die Experten damals al- lerdings nicht erwartet. Deshalb korrigierte Feld seine Prognose im Januar etwas nach unten, betonte aber: „Es ist immer noch eine 3 vor dem Komma möglich.“ Susanne Maerz Lars P. Feld Professor für Wirtschafts- politik an der Uni Freiburg und Leiter des Walter Eucken Instituts Bild Lars Feld: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung DER TOURISMUS IM LAND 2020 Zehn Jahre lang jagte imTourismus ein Rekord den nächsten, 2020 folgte ein krasser Einbruch: Die Zahl der Gäste ging in Baden-Würt- temberg vergangenes Jahr coronabedingt um 48,9 Prozent und damit auf 11,9 Millionen zurück. Die Zahl der Übernachtungen sank um 40,2 Prozent auf 34,2 Millionen. Die schlechtesten Monate warenApril, Mai und Dezember. Im Sommer boomte es unter ande- rem am Bodensee. Der Hegau und die Bodenseeregion verbuchten denn auch die geringsten Rückgänge mit 16,1 beziehungsweise 23,8 Prozent weniger Übernachtungen als 2019. Unter den Städten belegte Freiburg wie schon 2019 nach Stuttgart den zweiten Platz – allerdings mit 1,1 Millionen Übernachtungen statt 1,8 Millionen wie 2019. Fern blieben im ganzen Land vor allem Gäste aus dem Ausland, Geschäftsreisende, aber auch Schulklassen und andere Gruppen. Jugendherbergen, Ferien- oder Schulungsheime mussten Rückgänge von knapp 50 bis etwa 70 Prozent hinnehmen. Die Hotel- lerie, auf die die meisten Übernachtungen entfallen, verbuchte einen Rückgang von landesweit 45,6 Prozent.Amwenigsten schlecht lief es für Campingplätze (minus 16,5 Prozent) sowie Ferienwohnungen, -häuser und -zentren (minus 19,7 Prozent). All diese Zahlen veröf- fentlichte das Statistische Landesamt Baden-Württemberg Mitte Februar. Berücksichtigt wurden dafür 6.200 Beherbergungsbetriebe mit mindestens zehn Betten oder Stellplätzen. mae Martin Rau Wirtschaftsprüfer, Steuer- berater, Loeba Treuhand GmbH, Lörrach

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