Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Februar'21 - Hochrhein-Bodensee

8 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 2 | 2021 titel J etzt, in den Winterwochen und -monaten des neuen Jahres, wäre eigentlich die ideale Zeit, sich im warmen Wasser einer Thermalquelle zu entspannen, den Blick über die schneebedeckten Gipfel des Schwarzwalds wandern zu lassen, einen Saunagang anzuschließen oder eine Massage – wäre da nicht Corona. Die Pandemie hat den zahlreichen Thermen in der Region einen so kräftigen Strich durch ihre Rechnungen gemacht, dass manche von ihnen sogar ihre Existenz bedroht sehen. Dabei sahen die Zahlen vor dem ersten Lockdown eigentlich gut aus: Der Heilbäderverband Baden-Württemberg verweist auf gestiegene Ankunfts- und Übernachtungszahlen in den Heilbädern, wie die speziell ausgewiesenen Kurorte mit einer Thermal- oder Mineralquelle heißen (siehe Definition). Heilbäder stehen heute nicht mehr in erster Linie für das arg verstaubte Kurort-Image, sondern arbeiten seit Jahren an unterschiedlichen Angeboten, die Mega­ trends wie Natur, Wellness und Gesundheit aufgrei- fen – vom Kurzurlaub für gestresste Städter bis hin zu „Biohackers Heimat“, wie sich Bad Dürrheim in einer neuen Kampagne nennt. Damit sind die Bäder wich- tige Wirtschaftsfaktoren für Hotels und Pensionen, Gasthäuser und Geschäfte im Umfeld. Während der coronabedingten Schließungen läuft immerhin die Ar- beit an Konzepten weiter, zumal bei einigen Bädern in den nächsten Jahren größere Sanierungen anstehen. S o zum Beispiel bei den Balinea Thermen in Bad Bellingen, Landkreis Lörrach. Die Geschichte des Heilbads reicht zurück in die 1950er-Jahre, erzählt Dennis Schneider, Geschäftsführer der gemeindeeige- nen Bade- und Kurverwaltung Bad Bellingen GmbH – und damit Thermen-Chef. Damals habe die Wintershall AG in der Oberrheinebene erfolglos nach Erdöl gebohrt; in Bad Bellingen stießen die Arbeiter stattdessen in 592 Meter Tiefe auf Thermalwasser. Alte Fotos zeigen, wie das Wasser aus einem Metallrohr in einen Holzbottich fließt, in dem vergnügt vier Herren sitzen. 1957 begann der provisorische Badebetrieb im fast 40 Grad warmen Wasser der Natrium-Calcium-Chlorid-Quelle. Es entstan- den Gebäude und weitere Angebote für Gäste, 1968 be- kam der Ort Bellingen das Prädikat „Heilbad“ verliehen, seit 1969 darf er den Zusatz „Bad“ im Namen tragen. Die Therme sei „die Lebensader“ von Bad Bellingen, sagt Schneider. Bevor die Gemeinde zum Kurort wurde, sei sie ein kleines Fischerdorf gewesen. „Und man kann provokant fragen, was heute von dem Ort noch übrig bliebe, wenn die Therme geschlossen wäre.“ Die Bedeutung für die Wirtschaft in der Region be- lege auch eine aktuelle Erhebung: „Unsere Tätigkeit als Kurverwaltung mit der Therme im Zentrum sorgt für 50 Millionen Euro Bruttoumsatz im Jahr und etwa 1.000 Arbeitsplätze.“ Die jährliche Besucherzahl der Balinea Thermen liege zwischen 320.000 und 360.000. Und Bad Bellingen zählt pro Jahr rund 200.000 Gäste­ übernachtungen, keine geringe Zahl für einen Ort mit gut 4.500 Einwohnern. Bis Mitte der 1990er-Jahre seien es allerdings mehr als doppelt so viele gewesen, sagt Schneider – und ver- weist damit auf den tiefen Einschnitt, den die ab 1996 umgesetzten Gesundheitsreformen für alle Heilbäder bedeuteten: Die traditionellen, drei Wochen dauernden und überwiegend von den Krankenkassen bezahlten Badekuren verschwanden weitgehend, Gästezahlen brachen ein, und die Kurorte mussten sich neu er- finden. Laut Heilbäderverband Baden-Württemberg schrumpfte in Deutschland die Zahl der abgerechneten ambulanten Vorsorgeleistungen – so heißen Kuren in- zwischen offiziell – seither von rund 600.000 auf nur noch 31.763 im Jahr 2019. Für Heilbäder und andere Kurorte bedeutete das, sich stärker auf selbst zah- lende Gäste mit kürzeren Aufenthalten einzustellen und neben den medizinischen Angeboten Themen wie Erholung, Wellness und Fitness ins Zentrum zu stellen. D as sei den baden-württembergischen Heilbädern im vergangenen Jahrzehnt erfolgreich gelungen, sagt der Verband: Zwischen 2009 und 2019 sind laut Statistischem Landesamt die touristischen Ankünf- te von 1,2 auf 1,7 Millionen gestiegen, die Übernach- tungen von 6,3 auf knapp 7 Millionen. Auch Dennis Schneider in Bad Bellingen sagt, seine Mitarbeiter und er hätten den Thermenbetrieb in den vergangenen Jah- ren „entrümpelt“, alles vom Versicherungsvertrag bis DEFINITION Ein Heilbad ist eine spezielle Form eines Kurorts und hat dafür ein sogenanntes höheres Prädikat erhalten, das es zum Beispiel auch für Heilklima- tische Kurorte gibt („einfache Prädikate“ gibt es etwa für Luftkurorte und Erholungsorte). Kurorte werden von den jeweiligen Bundesländern an- erkannt; die Kriterien und Qualitätsstandards hierfür haben der Deutsche Heilbäderverband und der Deutsche Tourismusverband aufge- stellt. Voraussetzung für ein Heilbad ist, dass vor Ort sogenannte natürliche Heilmittel ge- nutzt werden. Es gibt Mineral-, Thermal-, So- le- und Moorheilbäder. Neben dem jeweiligen natürlichen, wissenschaftlich anerkannten und bewährten „Heilmittel des Bodens“ muss der Ort auch eine geeignete Lage und Witterung, verschiedene Einrichtungen zur Anwendung des Heilmittels sowie einen „dem Kurbetrieb entsprechenden Ortscharakter“ aufweisen. Der Heilbäderverband Baden-Württemberg zählt 35 Thermal- und Mineralbäder (davon liegen sechs im Regierungsbezirk Freiburg: Bad Bellingen, Ba- denweiler, Bad Dürrheim, Bad Krozingen, Bad Peterstal-Griesbach und Bad Säckingen) in den 56 höher prädikatisierten Kurorten des Landes – und bewirbt Baden-Württemberg daher als „Bäderland Nummer eins“. thg Dennis Schneider Geschäftsführer Bade- und Kurverwaltung Bad Bellin- gen GmbH Fritz Link Präsident des baden- württembergischen Heilbäderverbands Bilder: Michael Ruder/ Bade- und Kurverwaltung Bad Bellingen GmbH

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