Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September'20 - Hochrhein-Bodensee

7 9 | 2020 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 250 Jahre Bürstenproduktion in Todtnau Von Pionieren zu Spezialisten B ürsten über Bürsten stapeln sich in den Hallen der Bürstenfabrik Keller in der Gemeinde Todtnau im Oberen Wiesental. Vor allem Haarbürsten in verschiedenen Formen und Arten, aber auch Tier- und Spülbürsten, allesamt aus Holz. Die Hölzer werden erst vor- und dann zugeschnitten, geschliffen, geölt oder lackiert. Anschließend werden die Löcher gebohrt und die Borsten eingesetzt – je nach Bürste an anderen Maschinen oder per Hand von den Mitarbeitern. Rund 1.200 verschiedene Produkte umfasst das Sortiment der Bürstenfabrik Keller inklusive der Marke Faller, bis zu 25.000 Bürsten verlassen das Unternehmen am Tag, etwa acht Millionen waren es 2019. Keller, nach eige- nen Angaben einer der führenden europäischen Fein- bürstenproduzenten, ist die älteste noch bestehende Bürstenfabrik Todtnaus in Familienhand: Andreas Keller führt den im Jahr 1869 gegründeten Betrieb mit seiner Frau Jasmin in fünfter Generation. Hier, in der im Tal zwischen Feldberg und Notschrei gelegenen Stadt mit ihren knapp 5.000 Einwohnern, finden sich heute vier Bürstenfabriken und drei Bürstenmaschinenhersteller – darunter der Weltmarktführer Zahoransky – sowie in nächster Nähe drei weitere Bürstenproduzenten. Sie beschäftigen zusammen rund 800 Mitarbeiter. Die Branche ist neben dem Tourismus der bedeutendste Wirtschaftszweig im Oberen Wiesental und neben der Textilbranche der älteste. Eine der Wiegen der Branche Bundesweit gibt es nach Schätzungen des Verbands der deutschen Pinsel- und Bürstenhersteller (VDPB) rund 140 meist mittelständische Bürsten- und Pinsel- Ob Haar-, Zahn-, Schuh- oder Industriebürsten: Seit 250 Jahren werden in der Schwarzwaldgemeinde Todtnau Bürsten gefertigt. Aus den Pionieren mit breitem Portfolio sind Spezialisten geworden. Auch die Bürstenmaschinen haben sich entsprechend gewandelt. Die Stadt wollte das Jubiläum am 27. Septem- ber feiern. Wegen der Coronapandemie wurde das Fest verschoben. Wir nehmen das Jubiläum dennoch zum Anlass, einen Einblick in die Branche früher und heute zu geben. hersteller mit circa 6.600 Beschäftigten, die zusammen etwa 1,1 Milliarden Euro im Jahr umsetzen. Laut VDPB- Geschäftsführer Thomas Holland-Letz ist Todtnau „eine der Wiegen der deutschen Bürstenindustrie und beher- bergt bis heute führende, gut aufgestellte Hersteller und spezialisierte Maschinenbauer“. Den Grundstein dafür legte der Müllerssohn Leodegar Thoma, der abends das Mehl zusammenfegen musste und dafür Schweinsborsten in länglichen Holzbrettchen befestigte. Später machte er sich in Todtnau mit dem Herstellen von Bürsten selbstständig und führte 1770 dabei die Arbeitsteilung ein. Dieses Jahr gilt als Beginn der Bürstenproduktion in Todtnau, obwohl auch schon davor Männer und Frauen in Heimarbeit Bürsten ge- fertigt hatten. Die Besonderheit des neuen Verfahrens war, „dass sich einer der Arbeiter nur mit dem Ordnen der Borsten beschäftigte, ein anderer mit der Herstel- lung der Bürstenhölzer und ein dritter übernahm das Einziehen der Borsten“. Dies schreibt der Spezialist für die Todtnauer Bürstengeschichte Benno Dörflinger, der selbst rund 50 Jahre für die Firma Zahoransky gearbeitet hat, in der Branchenzeitschrift Brush Scene (Ausgabe November/Dezember 2019). Leodegar Thomas Mitar- beiter seien in kurzer Zeit Spezialisten geworden und hätten ihre Produkte schneller und günstiger herstellen können als gewöhnliche Bürstenmacher. Die Rolle der Händler Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Branche kam den Bürstenhändlern zu, die von den Todtnauer Herstellern gemeinsam bis nach Frankreich und Tirol geschickt wurden. „Ohne diese Händler hätte sich das Gewerbe nicht so entwickelt“, sagt Ralf Andreas Thoma, dessen Ururgroßvater im Jahr 1868 die Bürstenfabrik Carl Thoma (ab 1913 Vereinigte Bürstenfabriken, seit 1999 Interbros GmbH, siehe Seite 8) gegründet hatte. Blick in die Stanzerei der Bürstenfabrik Keller in Todtnau: Beim Bündeln werden die Borsten in eine V-Form gelegt und mit einer Drahtschlinge im Holzkörper befestigt. »Todtnau ist eine der Wie- gen der deut- schen Bürsten- industrie« Thomas Holland-Letz , Geschäftsführer des Verbands der deutschen Pinsel- und Bürstenhersteller

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