Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September'20 - Hochrhein-Bodensee
9 9 | 2020 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten Ralf Andreas Thoma hat das Konzept für das Todtnauer Bürstenmuseum entwickelt, das diesen Herbst öffnen soll. Die Händler, so berichtet er, brachten von unter- wegs Schweinsborsten in die Heimat, mit denen die Todtnauer wiederum neue Bürsten herstellen konn- ten. Das Gewerbe wuchs. „Holz war da, die Arbeit war knapp“, erklärt Benno Dörflinger. Der Bergbau sei zu- rückgegangen, ansonsten habe es in Todtnau nur die Landwirtschaft gegeben. Im 19. Jahrhundert entstanden im Zuge der Industriali- sierung an verschiedenen Orten in Deutschland nach und nach Bürstenfabriken. Die erste in Todtnau war laut Benno Dörflinger die 1823 gegründete Bürstenfabrik Ludwig Klingele. Von der weiß er aber nur, dass der spä- tere Inhaber zu jener Handvoll Todtnauer Unternehmern gehörte, die ihre Produkte 1873 gemeinsam auf der Weltausstellung in Wien präsentierten. Das gemeinsame Agieren beim Vertrieb der Produkte wie auf dieser Mes- se, so sagt Museumsmacher Ralf Andreas Thoma, sei eine Besonderheit der Todtnauer Bürstenunternehmer gewesen und auch ein Geheimnis ihres Erfolges. Zu den im 19. Jahrhundert gegründeten Bürstenmanufakturen zählen auch Firmen wie Wissler, Faller, Keller und Thoma (siehe Chronologie Seite 10). Die meisten von ihnen hatten zu Beginn ein breites Portfolio, produzierten viele Jahre Besen, Handfeger und weitere Haushaltsbürsten, manche auch Zahnbürsten. Die Branche wuchs stetig: „Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Todtnau wohl keine Familie, die nichts mit der Herstellung von Bürsten zu tun hatte“, schätzt Thoma. Erste Maschinen aus Todtnau In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hielten nach und nach Maschinen Einzug in die Bürstenfabriken und übernahmen beispielsweise das Bohren der Löcher und das Einziehen der Borsten. Das Handhaben der modernen Maschinen war für die Unternehmen nicht immer einfach. Die Bürstenfabrik Faller holte sich daher im Jahr 1899 den Mechaniker Anton Zahoransky nach Todtnau, der bereits in Nürnberg Erfahrung mit Bürs- tenmaschinen gesammelt hatte. Zahoransky war nicht nur ein erfahrener, sondern auch ein findiger Mecha- niker. Er entwickelte ein Verfahren, bei dem die Bors- ten mithilfe einer kleinen Drahtschlinge in den Bürsten befestigt wurden, sodass sie gut hielten, und gründete 1902 die Firma Zahoransky, heute Weltmarktführer für Bürstenmaschinen und größter Arbeitgeber Todtnaus. Drei weitere Bürstenmaschinenfabriken (Donat Laile, Gottlieb Ebser und Esto) folgten. Sie alle trieben Inno- vationen voran und machten gemeinsam mit den Bürs- tenproduzenten Todtnau zu einem wichtigen Standort der Bürstenindustrie in Deutschland. Wechselvolle Entwicklung Trotz aller Innovationen verlief die Geschichte der Todtnauer Bürstenbranche wechselvoll. Die beiden Weltkriege markierten ebenso Einschnitte wie die Weltwirtschaftskrise. Gleiches gilt für technologische Neuerungen wie die Einführung des Spritzgusses ab den 1950er-Jahren und die Globalisierung, in deren Zug in Fernost produzierte Billigprodukte großer Konzerne den Markt überschwemmten. Nicht immer fanden die Inhaber der Todtnauer Firmen Nachfolger für ihr Unter- nehmen. Mal wurden deshalb Fabriken stillgelegt oder verkauft, die einen mussten Insolvenz anmelden, die anderen verlegten ihren Standort. Wieder andere gibt es heute noch. Die 1980er- und 1990er-Jahre waren von der Spezialisierung geprägt, die die Branche auch heute Bilder: Sammlung Ralf Andreas Thoma, Zahoransky Die befreundeten Todtnauer Unternehmer und Bürsten pioniere Siegfried Thoma und Anton Zahoransky (linkes Bild von links) sowie eine Bündel abteilmaschine von Zahorans- ky aus dem Jahr 1902. »Holz war da, die Arbeit war knapp« Benno Dörflinger , Kenner der Geschichte des Todtnauer Bürstengewerbes
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