Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Mai/Juni'20 -Südlicher Oberrhein

8 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten 5+6 | 2020 tItel „Ohne einnahmen schmilzt die liquidität wie Schnee in der Sonne“, konstatiert Frese. Daran hätten auch Hol- und lieferdienste wenig geändert. Im Onlinehandel dominieren die großen Anbieter, beobachtet Frese. er weiß von regionalen Händlern, die auch in ihren Online- shops einbußen während der Schließung hatten. Gerade für größere Modehändler seien die einbrüche drama- tisch. „Sie werden Jahre brauchen, um das zu über- winden“, glaubt Frese. Denn die Umsätze steigen jetzt nur sehr zaghaft. Viele Feste und andere Anlässe, für die Menschen sich neu einkleiden, fallen weg. Zudem trüben Gehaltseinbußen aufgrund von Kurzarbeit die Konsumlaune. Selbst einige lebensmitteleinzelhändler, die durchgehend offen waren, büßten Umsatz ein, vor allem in Grenznähe zur Schweiz und zu Frankreich, wo die einkaufstouristen ausblieben. Industrie eine Umfrage der Medical Mountains GmbH in tuttlingen und der Medizintechnik im Industriever- band Spectaris , Mitte April bei fast 100 Unternehmen der Branche erhoben, ergab, dass 60 Prozent eine deutlich geringere Nachfrage nach medizintechni- schen Produkten verzeichnen und fast die Hälf- te logistische engpässe beklagt. Bei einem Hochfahren der Wirtschaft ab Juni rechnen die Firmen im Verhältnis zum Vorjahr mit einem einbruch des Gesamtumsatzes 2020 von durchschnittlich 18 Prozent. Bei einem lockdown bis August wird so- gar ein Minus von 28 Prozent für mög- lich gehalten. ein kompletter globaler Stillstand wird für eher unwahrscheinlich erachtet, von zunehmenden Anfragen aus Chi- na wird berichtet. Wie die Medical-Mountains- Geschäftfsführerinnen Yvonne Glienke und Julia Ste- ckeler betonen, werden vor allem das Kurzarbeitergeld (61 Prozent der Befragten) und Steuerstundungen (54 Prozent) als sehr relevant betrachtet. Mit Blick in die Zukunft, sagt Martin leohnhard von der Firma Karl Storz (Vorsitzender der Medizintechnik von Specta- ris), müsse die Politik die Stärken der Branche wie mittelständisches Unternehmertum, Innovationsgeist und internationale Ausrichtung mit entsprechenden Aktivitäten unterstützen. Bert Sutter, Chef der Firma Sutter Medizintechnik (mehr als 15 Millionen euro Umsatz, 120 Mitarbeiter, Hersteller von Radiofrequenzsystemen und bipolaren Pinzetten) stellt fest, dass die Unternehmen seiner Branche sehr heterogen von der Coronakrise betroffen sind. Dies vor allem deswegen, weil nicht lebensnot- wendige Maßnahmen in den Kliniken aufgeschoben wurden, um Kapazitäten für vom Virus betroffene Pa- tienten freizuhalten. Deshalb gab es weniger Verkäufe beispielsweise von Implantaten oder Verbrauchsmate- rialien. Profitiert hätten natürlich Hersteller von Beat- mungsgeräten und Schutzkleidung. Nach einem sehr guten ersten Quartal gingen bei Sutter Medizintechnik die Auftragseingänge im April um circa 25 Prozent LICHTBLICKE Die Philipp Kirsch GmbH verzeichnete Anfang April einen deutlich erhöhten Auftragseingang. Das Offenburger Unternehmen entwickelt und produziert medizinische Kühlgeräte für die Lagerung von Medi­ kamenten, Laborproben und Blutkonserven. Weil aufgrund der Coro­ napandemie vielerorts Krankenhäuser aufgestockt und ausgebaut wurden, stieg die Nachfrage nach diesen Geräten in Deutschland und weltweit. Die Kunden würden am liebsten die ganzen Bestände auf­ kaufen, doch die gebe es nicht mehr, berichtet der geschäftsführende Gesellschafter Jochen Kopitzke . Kirsch produziere so gut wie nicht fürs Lager, und auch die kleinen Bestände wie Rückläufer seien bereits vergriffen. Um die vielen Bestellungen zu bewältigen, fahre man in be­ stimmten Bereichen Zusatzschichten. Es sei indes schwer absehbar, wie sich die Situation weiterentwickelt. Einerseits gebe es zum Teil Engpäs­ se bei manchen zugekauften Komponenten, beispielsweise Tempera­ turfühlern.Andererseits seien viele normale Projekte auch bei Kirsch ins Stocken geraten, zumal viele Kliniken nicht betreten werden durften. Anfang April hatten die zusätzlichen Aufträge das allerdings noch über­ kompensiert, so Kopitzke. Messen und damit Messebauer zählten zu den ersten, die massiv von der Coronapandemie getroffen wurden. Anfang März hatte Ralf Brotte , Inhaber der Firma Externe Messeabteilung in Denzlingen, bereits Kurzarbeit für seine 14 festen Mitarbeiter beantragt. Doch übers Wochenende kam ihm ein Gedanke, der den Shutdown wieder been­ dete: „Wie kann man Kassiererinnen vor dem Virus schützen?“, fragte sich Brotte und entwickelte sodann gemeinsam mit Ede­ ka Rees eine Schutzwand aus Plexiglas, eine Art Spuckschutz für jeden Kassentyp. Zuerst für die sechs Standorte von Rees, bald für viele weitere Lebensmitteleinzelhändler und für Metzgereien, mittlerweile auch für Physiotherapeuten, Friseure, Arztpraxen, Copyshops oder Hotels. Anfangs dachte man, es brauche die mo­ bilen Trennwände nur vorübergehend. Jetzt wird längerfristig da­ mit geplant, deshalb sind sie hochwertiger geworden. Das Geschäft sichert der Externen Messeabteilung das Überleben. Denn Messen wird es noch auf absehbare Zeit nicht geben, glaubt Brotte. Die Hälfte seiner Mitarbeiter konnte der Firmenchef schon aus der Kurzarbeit holen, die andere Hälfte soll bald folgen. „Veränderungen bringen auch immer Chancen“, sagt Brotte, der seit 35 Jahren im Messebau arbeitet und vor 15 Jahren seine Firma gegründet hat. Als zu Beginn der Pandemie der Bedarf an Desinfektionsmittel explodier­ te, fehlte es vielfach am dafür nötigen hochprozentigen Alkohol. Bei der Überbrückung der Engpässe halfen einige Brennereien aus der Region. Schladerer aus Staufen beispielsweise brannte 12.000 Liter aus seinen Lagerbeständen erneut, um hochprozentigeren Alkohol zu erhalten. Die­ sen verarbeitete ein bayerischer Hersteller zu Desinfektionsmittel für die Freiburger Uniklinik. Auch andere Obstverschlussbrenner in der Region halfen Krankenhäusern und Apotheken mit ihren Beständen an Neu­ tralalkohol aus, den sie normalerweise zur Herstellung von Himbeergeist oder Gin verwenden, berichtet Harald Brugger . Um einen neuen Ge­ schäftszweig ging es dabei indes nicht, betont der Geschäftsführer des Verbands der Obstverschlussbrenner . Das sei von den Kapazitäten auch gar nicht machbar. Die badischen Obstverschlussbrenner produzie­ ren gut zwei Millionen Liter Schnaps pro Jahr, während man den Mehr­ bedarf an Reinalkohol für Desinfektionsmittel während der Pandemie auf 20 Millionen Liter schätzt – monatlich. Die Brennereien in der Region haben laut Brugger vorübergehend ausgeholfen. Der Antrieb sei soziale Verantwortung gewesen, nicht die Absicht, Geld zu verdienen. kat Bild: Graphikbuero GeBHARD-UHl

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