Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Mai/Juni'20 - Hochrhein-Bodensee

7 5+6 | 2020 IHK-Zeitschrift Wirtschaft im Südwesten TITEL Reise und Touristik Reisebüros und -veranstalter zählen zu den am stärksten betroffenen Unternehmen in der Coronakrise. Seit Mitte März finden keine Reisen mehr statt, die internationale Reisewarnung wurde zuletzt bis Mitte Juni verlängert. Noch ist unklar, wo im Sommer wieder Urlaub gemacht werden kann. Laut einer Pressemitteilung des Deut- schen Reiseverbands von Ende April sind zwei Drittel der Reisebüros und Veranstalter, darunter vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, in ihrer Exis- tenz bedroht, drei Viertel hätten Kurzarbeit angemeldet. Auch das Reisebüro Stiefvater aus Weil am Rhein, das sieben Standorte in der Region unterhält und 75 Mitar- beiter beschäftigt, hat für einen Teil von ihnen Kurzarbeit angemeldet. Der andere Teil indes arbeitet auf Hochtou- ren: Seit Mitte März sind sie damit beschäftigt, Reisen, die in den vergangenen Monaten gebucht wurden, zu stornieren oder für den Herbst umzubuchen. Mit dieser Arbeit verdient das Unternehmen aber kein Geld. Zudem verliert es die eingeplanten Provisionen und damit den Lohn für die geleistete Arbeit der vergangenen Monate. „Der Veranstalter zahlt uns die Provision in der Regel erst, wenn der Kunde anreist, nicht wenn er bucht“, sagt Aron Stiefvater, der das 1972 gegründete Unternehmen in zweiter Generation führt. Das Reisebüro macht 95 Prozent seines Umsatzes mit Pauschalreisen in Euro- pa und Individualreisen weltweit. Neue Buchungen für das laufende Jahr gibt es bislang kaum. Aron Stiefvater setzt darauf, 2021 wieder durchstarten zu können. „Wir sind gut aufgestellt“, sagt er. Auch wenn das Familien- unternehmen über Reserven verfüge, komme es ohne Liquiditätshilfen nicht aus. „Wir versuchen uns durchzukämpfen“, sagt Gerd Deininger, der seit 25 Jahren die Aventoura GmbH in Freiburg betreibt, einen Veranstalter für Reisen nach Kuba und andere lateinamerikanische Länder. In der zweiten Märzhälfte hatten er und seine 22 Mitarbeiter in der Zentrale alle Hände voll zu tun, um innerhalb kurzer Zeit hunderte von geplanten Reisen stornieren zu können. „Das Fatale ist, dass wir vieles, was wir in den letzten Wochen und Monaten erarbeitet haben, rückabwickeln. Wir verdienen nichts, es verursacht nur zusätzliche Kosten“, sagt Deininger, der auch Nieder- lassungen auf Kuba und Costa Rica mit 15 Mitarbeitern unterhält. Inzwischen sind fast alle Freiburger Beschäf- tigten in Kurzarbeit, die wenigen Anrufe und E-Mails beantwortet er mit seiner Frau und der Auszubilden- den. In diesem Jahr rechnet Deininger mit „keinem nennenswerten Absatz und Umsatz“. Er sagt: „Es wird schwer, ohne jegliche Erträge lange durchzuhalten, obgleich wir in den letzten Jahren gut gewirtschaftet haben.“ Deininger hofft, dass 2021 wieder die ersten Fernreisen stattfinden können und sich auch das Ge- schäft von Aventoura „deutlich wiederbelebt“. Hotellerie und Gastronomie Acht Wochen Schließung lagen Anfang Mai hinter der Hotellerie und Gastronomie. Nach anfänglichem Schock hatten manche ihre Betriebe ein bisschen re- noviert und einige Restaurants mit Take-away-Ange- boten etwas Umsatz generiert. Aber die Anspannung und die Unsicherheiten wuchsen deutlich in der Bran- che. Zu Redaktionsschluss am 8. Mai gab es zwar die Ankündigung, die Gastronomie ab Mitte Mai und die Hotellerie bis Pfingsten wieder hochzufahren. Doch Details dafür fehlten. Und die brauchen Wirte und Ho- teliers für die Planung: „Wie viel soll ich einkaufen, von welchen Gästezahlen ausgehen und wie viele Mitarbei- ter zurückholen?“ Das fragte sich auch Michael Steiger, der drei Irish Pubs in Villingen, Schwenningen sowie Tuttlingen betreibt und seine Branche als Vorsitzen- der des Tourismusausschusses der IHK Schwarzwald- Baar-Heuberg sowie im Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) vertritt. „Wir müssen das jetzt sorgfältig wirt- schaftlich denken“, mahnt Steiger. Das sei die größte Herausforderung in der Wiederöffnungsphase, dafür brauche es viel Planung. Steiger rechnet mit 50 Prozent weniger Kapazität. Wie aber macht man ausreichend Umsatz mit so viel weniger Gästen? Steiger erwägt zwei oder sogar drei „Sitzungen“, also Tischbelegungen pro Abend mit entsprechenden Anfangs- und Endzeiten bei den Reservierungen. Allerdings sind die Öffnungszeiten noch nicht geklärt, und davon hängt auch hier wie- der die Planung ab. Stand 8. Mai blieben also etliche Ungewissheiten und die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft, zumal weiterhin wichtige Einnahmequellen wie Familienfeste und Tagungen fehlen. Immerhin: Die von der Landesregierung angekündigten Hilfen und die vom Bundeskabinett beschlossene Senkung der Mehr- wertsteuer für Speisen von 19 auf 7 Prozent (siehe auch Seite 54), die der Dehoga seit Langem fordert, wurden in der Branche sehr begrüßt. Die Umstellung der Kassen sei kein großer Aufwand, sagt Steiger – „das machen die Gastronomen gerne“. Einzelhandel Etwas besser sieht es bei den Einzelhändlern aus, denn die dürfen seit 20. April in großen Teilen wieder ihre Geschäfte öffnen. Die ersten Wochen sind freilich ver- halten gestartet. Philipp Frese, Präsident des Handels- verbands Südbaden und Vorsitzender des Handelsaus- schusses der IHK Südlicher Oberrhein, rechnet mit einer dreimonatigen Wiederanlaufzeit, in der die Umsätze zwischen 40 und 70 Prozent des normalen Niveaus lie- gen. Dann folge eine Normalisierungsphase mit 60 bis 80 Prozent des regulären Umsatzes, und erst Richtung Spätjahr, so Frese, könnten die Umsätze im Einzelhandel wieder auf Vorjahresniveau liegen – „wenn es gut läuft“. Besonders hart trifft es Mode- und Schuhhändler, für die das Frühjahr normalerweise eine sehr ertragsstarke Zeit ist und die ihre während der rund vierwöchigen Schließung entstandenen Ausfälle kaum aufholen kön- nen. Aus seinen zwei Unternehmen weiß Frese um die immensen Liquiditätsprobleme der Einzelhändler. Er betreibt ein Betten- und ein Raumausstattungsgeschäft in Freiburg. Die Kosten des Bettenhauses seien während der Schließung nur um ein Drittel geringer als normal gewesen, während der Umsatz auf zwölf Prozent sank. Bild: sorbetto - iStock

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