Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Dezember '19 -Südlicher Oberrhein

12 | 2019 Wirtschaft im Südwesten 9 TITEL SUPPORTED EMPLOYMENT Seit vier Jahren läuft beim Zentrum für Psychi- atrie Reichenau (ZfP) das Modellprojekt „Sup- ported Employment“, dessen primäres Ziel es ist, krankeArbeitnehmer in ihrer ursprünglichen Stelle zu halten, dahin zurück oder überhaupt in Beschäftigung zu bringen. Der Grundgedanke – zuerst auf demArbeitsmarkt platzieren, dann trainieren – stellt einen Paradigmenwechsel dar. Im traditionellen System der beruflichenWieder- eingliederung werden psychisch beeinträchtigte Menschen im geschützten Rahmen mit Training vorbereitet. Beim Supported Employment steht den Betroffenen, die Klienten genannt werden, ein Sozialarbeiter als Jobcoach zur Seite, der sie bei allen Fragen rund um die Arbeit berät und unterstützt – ohne zeitliche Befristung und bei allen Herausforderungen. Der Jobcoach küm- mert sich gleichermaßen um Arbeitgeber und Klient und bezieht bei Bedarf Angehörige oder Therapeuten mit ein. „Ziel ist es, den zum Kli- enten passgenauen Arbeitsplatz zu finden oder zu gestalten“, erklärt Susanne Hauk vom „Sup- ported-Employment“-Team der ZfP Reichenau. Supported Employment folgt dem „Individual Placement und Support“-Protokoll, das vor über 30 Jahren in den USA entwickelt wurde. Studien belegen, dass Menschen dadurch we- sentlich bessere Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben als mit klassischen Trai- ningsangeboten. In vielen Ländern gilt Suppor- ted Employment als Methode der Wahl bei der Rehabilitation psychisch Kranker. Hierzulande gibt es das Angebot in der Form bislang nur im Landkreis Konstanz und in Berlin. Das Reichen- auer Modellprojekt soll die Praktikabilität von Supported Employment auch in Deutschland nachweisen, damit die Angebote zur Regelleis- tung werden können. Anfang dieses Jahres hat das ZfP – unterstützt mit Mitteln des Europäi- schen Sozialfonds – als weiteresAngebot „Sup- ported Employment & Education“ gestartet, das speziell jüngeren Menschen mit und nach psy- chischen Krisen helfen soll, auf dem allgemei- nen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Supported Employment“ und „Supported Employment & Education“ zählen zusammen rund 80 Klienten. Die meisten sind ambulant in Behandlung, gut die Hälfte arbeitet. kat Supported Employment Susanne Hauk 07531 977-8703 s.hauk@zfp-reichenau.de Mitarbeiter nicht bevormunden, sondern ihnen Impulse geben, Hilfe zur Selbsthilfe. Die Gesundheitstage, die Kendrion zwei Mal pro Jahr veranstaltet, sind freiwillig und finden während der Arbeitszeit statt. Die Themen orientieren sich an den häufigsten Krankheiten. Weil psy- chische Leiden zunehmen, ging es bei den jüngsten Aus- gaben um Stress, Achtsamkeit, Schlaf und Suchtmittel. Mehr als die Hälfte der Belegschaft nutzt das Angebot. Auch viele Führungskräfte legen sich zur Atemübung auf die Yogamatte und senken damit bei den Mitarbeitern die Hemmschwelle, es ihnen nachzutun. Führungskräfte nehmen Hoffmann und Hoer beson- ders ins Visier und schulen sie entsprechend. „Ihnen kommt bei der Motivation der Mitarbeiter und damit bei deren Fehlzeiten eine Schlüsselrolle zu“, erklärt Hoffmann. „Dafür werden sie immer wieder sensibili- siert.“ Sie lernen zunächst – anhand der sogenannten Structogram-Methode – sich selbst zu analysieren und können so besser auf ihre Mitarbeiter und deren Be- dürfnisse eingehen. „Generell geht es darum, Druck herauszunehmen“, sagt Sandra Hoer. Flexibilität bei der Arbeitszeit hilft oft enorm – egal ob das Kind krank ist oder ein schwerer Schicksalsschlag droht, den Mit- arbeiter aus der Bahn zu werfen. Wenn dieser die Arbeit reduzieren oder die Schicht tauschen kann, ist das manchmal mehr wert als ein höherer Lohn, weiß Hoff- mann. „Wichtig ist, dass die Arbeit nicht zum Problem wird.“ Er kennt einige Fälle, bei denen die Vorgesetzten auf die Mitarbeiter eingehen, individuelle Lösungen finden und so längere Fehlzeiten verhindern konnten. D ie (psychische) Gesundheit zu erhalten und in der Arbeitswelt zu bleiben, ist ungleich einfa- cher als eine Wiedereingliederung. „Wer sechs Wochen oder länger psychisch krank war, braucht Unterstützung bei der Rückkehr“, sagt Psychiaterin Temme. „Wir sehen im Klinikalltag, wie viele Gedan- ken die Patienten sich über ihre Rückkehr machen.“ Arbeit hat einen positiven Einfluss auf die persönliche Entwicklung und die Gesundheit von Menschen. Sie stiftet Identität, bedeutet Integration, ermöglicht so- ziale Kontakte. Das zeigt ein Beispiel aus Konstanz. Die Firma J&C Veranstaltungstechnik beschäftigt seit etwas mehr als einem Jahr einen Mitarbeiter, der von „Supported Employment“ (siehe Kasten rechts) unterstützt wird. Der 43-jährige Lagerist litt unter Depressionen und war arbeitslos. Er hat sich auf Initiative der Agentur für Arbeit um die ausgeschriebene Stelle beworben – für Firmenchef Jürgen Nägele eine Bewerbung wie jede andere. „Der Mensch muss zur Firma passen“, sagt er. „Mit den Randgegebenheiten kommt man in der Regel klar“. Und im Fall des Lageristen war das so: Er kam menschlich gut an, hat zum Team gepasst. Deshalb entschied sich J&C für ihn, ungeachtet seiner Erkrankung. „Jeder bringt doch ein Päckle mit. Ich hab noch niemanden getroffen, der keines hat“, sagt Nä- gele, der sich als Arbeitgeber verpflichtet sieht, sich um seine Mitarbeiter zu kümmern, gerade angesichts des Fachkräftemangels. Nägele schätzt sehr, dass »Führungs- kräfte spielen bei der Motivation der Mitarbeiter eine Schlüssel- rolle« Arno Hoffmann Peronalleiter Kendrion Villingen

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