Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Dezember '19 - Hochrhein-Bodensee

Wirtschaft im Südwesten 12 | 2019 10 TITEL sein Mitarbeiter ausgesprochen offen mit seiner Er- krankung umgeht. Umgekehrt ist er bereit, auf dessen erhöhten Gesprächsdarf einzugehen. „Es dreht sich schon immer ein bisschen mehr um die Person“, erzählt Nägele. „Aber ich habe nicht den Eindruck, dass es nicht zurückkommt.“ Der Chef erlebt seinen Mitar- beiter als überaus loyal der Firma gegenüber. Der gibt immer Vollgas, will alles besonders gut machen. Zwar tauchen manchmal kleinere Probleme auf, insgesamt aber sieht Nägele ihn auf einem guten Weg. „Man hat richtig gemerkt, wie er aufgeblüht ist.“ Einen bleiben- den Eindruck hat der Betriebsausflug in den Europa- Park hinterlassen. Der Lagerist habe sich bei ihm für das schöne Erlebnis besonders bedankt. Ein Foto auf seinem Schreibtisch erinnert daran. Die Arbeit funk- tioniert bei dem 43-Jährigen als Therapie. Sie hat ihn aus der sozialen Isolation geholt und lässt ihn wieder vorausblicken. „Man merkt, dass sein Planungshori- zont größer wird“, berichtet Nägele. Der Mitarbeiter, der während seiner Depression in die Privatinsolvenz gerutscht war, plane wieder längerfristig und mache sich beispielsweise Gedanken über seine Entschuldung oder eine größere Wohnung. J eder Fall ist unterschiedlich, jeder Mensch, jede Er- krankung individuell. Der eine braucht Gesellschaft, für den anderen ist der Kontakt zu Menschen eine Belastung – gut zu sehen an einem Beispiel aus dem Raum Freiburg. Der Internetdienstleister SD Software- Design beschäftigt rund zehn Mitarbeiter und einen Aus- zubildenden. Dieser angehende Fachinformatiker kann es schwer ertragen, mit vielen Personen in einem Raum zu sein. Gegen Ende seines Informatikstudiums war er schwer erkrankt, unter anderem an sozialen Ängsten und Psychosen. Den Abschluss seines Studiums schaffte er noch, den Übergang in den Beruf nicht. Weit mehr als zehn Jahre fiel er komplett aus. Vor etwas mehr als einem Jahr bewarb er sich – vermittelt und unterstützt von einer Rehabilitationseinrichtung – für ein Praktikum bei Software-Design und hatte das Glück, dass der junge Chef Daniel Kemen, der sich ehrenamtlich für seinen Verein „Sorgen-Tagebuch“ engagiert, jedem Bewerber eine Chance gibt. „Fachlich passende Kandidaten be- kommen bei uns eigentlich immer die Gelegenheit sich vorzustellen.“ So durfte auch der Informatiker vorbei- kommen und – trotz der Bedenken, ob die kleine Firma die Herausforderungen aufgrund der Erkrankung be- wältigen kann – als Praktikant einsteigen. Zunächst mit sehr wenigen Stunden, dann wurde das Praktikum immer wieder verlängert und die Arbeitszeit gesteigert, bis er annähernd Vollzeit erreichte und nun die Ausbildung starten konnte. Annähernd deshalb, weil die starken Me- dikamente, die er nehmen muss, so müde machen, dass es schwierig ist, acht Stunden wach und aufmerksam zu bleiben. Zudem wirken sie sich auf die emotionale Reaktionsfähigkeit aus, daran mussten sich die Kollegen erst gewöhnen. Daniel Kemen hat sein Team von Anfang an informiert und in die Entscheidung für den Prakti- kanten beziehungsweise Auszubildenden eingebunden. Ihm ist ein offener, unaufgeregter Umgang mit dem The- ma wichtig – „keine Extrawurst draus machen“. Zwar kommt das Unternehmen den Bedürfnissen des neuen Mitarbeiters entgegen, er darf sich mittags hinlegen und muss keine Projekte mit viel Kundenkontakt machen. Ansonsten wird aber kein Aufhebens drum gemacht. Diese Einstellung zeitigt auf beiden Seiten Erfolge: Der Auszubildende macht seine Arbeit gut, wenn auch etwas langsamer, was durch die Förderung der Arbeitsagentur ausgeglichen wird. Er ist aufgeschlossener geworden, bringt Kollegen mal einen Kaffee mit. Und im Team ach- ten jetzt alle mehr darauf, was zu wem passt, wer wie reagiert. „Es ist eine Awareness für die Bedürfnisse der anderen entstanden“, sagt Kemen. Das ist die Haltung, die sich Experten für den Umgang mit psychisch Kranken im Job wünschen: Der Arbeits- platz soll zum Menschen passen, und seelischen Lei- den sollte das gleiche Verständnis entgegengebracht werden wie körperlichen Beschwerden. Jemanden mit Bandscheibenvorfall schickt man schließlich auch nicht zum Kistenschleppen. Kathrin Ermert Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Menschen ohne Risikofaktoren können mehr Stress bewältigen (links). Bestehen wenige Risikofaktoren, können Menschen mit einem gewissen Maß an Stress umgehen, ohne psychisch zu erkran- ken. Wird die Belastung aber zu groß, läuft das Fass über (Mitte). Menschen mit vielen und schweren Risikofaktoren können nur wenig Stress aushalten, schon geringe Belastungen können psychische Erkrankungen auslösen (rechts). Quelle: Institut für Didaktik in der Medizin Psychiatrie-Koordi- natoren im Regie- rungsbezirk Freiburg nach Kreisen Freiburg: Christine Kubbutat 0761 201-3588 Christine. Kubbutat@stadt. freiburg.de Breisgau-Hoch- schwarzwald: Christoph Keim 0761 2187-2142 Chris- toph.keim@lkbh.de Emmendingen: Gerhard Hornung 07641 451-3090 g.hornung@landkreis - emmendingen.de Ortenau: Silke Martens 0781 805- 1486 silke.martens@ ortenaukreis.de Rottweil: Daniela Klein 0741 244-233 daniela.klein@ landkreis-rottweil.de Schwarzwald-Baar: Angela Kreutter 07721 913-7131 a.kreutter@lrasbk.de Tuttlingen: Wolfgang Hauser 07461 926- 9147 w.hauser@ landkreis-tuttlingen.de Konstanz: Susanne Mende 07531 800- 1673 susanne. mende@lrakn.de Lörrach: Reiner Faller 07621 410-5116 reiner.faller@loerrach- landkreis.de Waldshut: Birgit Goede-Pokrzywa 07751 864254 birgit.goede- pokrzywa@landkreis- waldshut.de

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