Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe November '19 -Südlicher Oberrhein

7 11 | 2019 Wirtschaft im Südwesten D as sogenannte Seehäsle zwischen Radolfzell und Stockach, eine im Jahr 1996 wieder in Betrieb genommene Bahn, stellte Verkehrs- minister Hermann im vergangenen Frühjahr als eines der Beispiele heraus, wie erfolgreich Reaktivierungen von zuvor stillgelegten Bahnstrecken sein können. Die Hohenzollerische Landesbahn – ein Verkehrsbetrieb der Südwestdeutschen Landesverkehrs AG (SWEG) in Lahr – befördert auf dieser Strecke mit modernem rol- lenden Material täglich rund 3.500 Passagiere, so Ralf Bendl vom Landratsamt Konstanz. Ob solche oder ähnli- che Erfolge auch mit anderen, meist zwischen 1960 und 1990 stillgelegten Bahnstrecken erzielbar sein können, soll eine zweistufige Machbarkeitsstudie untersuchen, die das Landesverkehrsministerium in Auftrag gegeben hat. Zunächst werden 41 Strecken einer sogenannten groben Potenzialanalyse unterzogen. In einem zweiten Schritt sollen dann zehn bis fünfzehn Strecken mithil- fe sowohl einer vertieften Potenzialuntersuchung als auch einer überschlägigen Kostenkalkulation eingeord- net werden. Wesentliche Faktoren sind zu erwartende Passagierzahlen und die Höhe der nötigen Investitionen. Anfang 2021 sollen die Ergebnisse vorliegen. Die sieben Strecken Von den im ersten Schritt zu untersuchenden Strecken befinden sich sieben im Regierungsbezirk Freiburg: die Kandertalbahn zwischen Haltingen und Kandern, die Wehratalbahn zwischen Schopfheim über Wehr nach Bad Säckingen, der südliche Teil der Wutachtalbahn zwischen Lauchringen und Stühlingen, der nördliche Teil dieser Bahn zwischen Blumberg und Hintschingen, die grenzüberschreitende Strecke zwischen Singen und Etzwilen im Schweizer Thurgau, die Ablachtalbahn beziehungsweise deren nordöstlicher Teil ab Stockach nach Mengen (der große Teil dieser Strecke verläuft im Regierungsbezirk Tübingen) sowie die ebenfalls grenzüberschreitende Strecke zwischen Breisach und Colmar. Diese sieben Strecken befinden sich in ganz unterschiedlichen Zuständen und werden ent- weder gar nicht mehr, von Museumsbahnen oder von vom Land beauftragten Bahnunternehmen befahren. Teilweise befinden sie sich im Besitz von Landkreisen oder Gemeinden, teilweise von Vereinen, Firmen oder nationalen Eisenbahngesellschaften. In die Untersuchung wird als wesentliches Kriterium  – der Zielkonzeption des Landes folgend – ein Stunden- takt an allen sieben Wochentagen mit 19 Zügen von Montag bis Freitag und 17 Zügen am Wochenende je Richtung einfließen. Feste Takte von morgens 5 bis abends 24 Uhr sind ein nicht verzichtbarer Erfolgsbe- standteil des Schienenpersonennahverkehrs. Mögliche Passagierzahlen sind stark abhängig von Pendler- und Schülerströmen. So rechnen sich etwa die Befürworter der Kandertal- und der Weratalbahn Nachfrage von Bürgern der dortigen Gemeinden aus, die im Großraum Basel arbeiten, oder von Jugendlichen, die zum nächst- gelegenen Schulzentrum fahren. Auch die Nachfrage im Fremdenverkehr kann eine Rolle spielen, etwa von Tagestouristen aus größeren Städten. Und schließlich kann es um Lückenschlüsse in direkten Verbindungen zwischen größeren Städten gehen, die bislang nur über große Umwege miteinander verbunden sind. Kosten und Zuschüsse Die Kosten einer Reaktivierung sind natürlich stark vom Zustand einer Strecke beziehungsweise entsprechend vom Aufwand abhängig, der nötig ist, um die Strecke wieder befahrbar zu machen. Da spielen die Anzahl der Weg- und Straßenübergänge ebenso eine Rolle, wie der Zustand von beispielsweise Brücken sowie Tun- nels und Überlegungen, zusätzliche Haltepunkte ein- zurichten beziehungsweise Bahnsteige zu ertüchtigen. Teuer ist immer eine Elektrifizierung von zuvor nicht elektrisch befahrenen Strecken. Zu bedenken ist aller- dings grundsätzlich, dass es kaum eine langfristigere Investition im Wirtschaftsgeschehen gibt als solche in Bahnstrecken. Konkrete Aussagen über die möglichen Aufwendungen für Bahnstreckenreaktivierungen sind selten. Es gibt indessen Ausnahmen. So benennt eine Bachelorarbeit die Kosten für die Strecke zwischen Haltingen und Kandern auf 20 bis 25 Millionen Euro, diejenigen für die Reaktivierung der Strecke zwischen Schopfheim und Bad Säckingen beziffert Clemens Tho- ma vom Bürgermeisteramt Wehr auf über 100 Millionen Euro nach einem Gutachten aus dem Jahr 2007. Der Bau und auch der anschließende Betrieb reaktivier- ter Strecken müssten laut Landesverkehrsministerium kommunal finanziert werden. Allerdings: Bei Kosten bis zu 50 Millionen Euro können vom Land nach dem Lan- desgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz 50 Prozent bezuschusst und außerdem Mittel für die Schülerbe- förderung bereitgestellt werden. Bei Kosten über 50 Millionen Euro können bis zu 50 Prozent vom Bund und zuzüglich 30 Prozent vom Land kommen. Das be- trifft beispielsweise derzeit die für über 300 Millionen Euro in Aufrüstung befindliche Breisgau S-Bahn um Freiburg herum. Ganz im Trend der Klimadiskussion liegt das Stärken des öffentlichen Personen- nahverkehrs. In diesen Rahmen gehören auch Überlegungen, stillgelegte Bahnstre- cken zu reaktivieren. Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg lässt derzeit 41 solcher Strecken in einer vergleichenden Machbarkeitsstudie untersuchen, davon sieben im Regierungsbezirk Freiburg, dem Verbreitungsgebiet unserer Zeit- schrift. Wir stellen sie vor.

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