Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe November '19 - Hochrhein-Bodeansee

Wirtschaft im Südwesten 11 | 2019 12 Leute Der Zeit voraus Rolf Disch | Solararchitektur & Projektentwicklung FREIBURG. Wenn Rolf Disch aus dem Fenster seines Büros schaut, sieht er bunte Fassaden und viele Photo- voltaikanlagen. Das ist alles sein Werk. Der Freiburger Solararchitekt, wie er meist genannt wird, hat die 59 Holzhäuser der Solarsiedlung am Fuße des Schlierbergs entworfen und gebaut. Gleichermaßen das angrenzende Geschäftshaus „Sonnenschiff“, in dem auch sein eige- nes Büro untergebracht ist. Beide Projekte gelten als wegweisende Beispiele nachhaltigen Bauens, weil die Gebäude mehr Energie erzeugen als ihre Bewohner und Nutzer verbrauchen. Die Solarsiedlung, die als Teil der Expo 2000 entstand, war die erste zusammenhängende Siedlung von Plusenergiehäusern, das Sonnenschiff der erste Gewerbebau in Plusenergiebauweise. 1994 bereits hat Disch unweit der Solarsiedlung das überhaupt erste Plusenergiehaus der Welt gebaut, regenerativ, emissionsfrei, CO 2 -neutral. Es ist sein Privathaus, er wohnt mit seiner Frau Hanna Lehmann in dem „Heliotrop“, das sich – wie die Pflanzen, nach denen es benannt ist – mit dem Lauf der Sonne dreht. Das zylinderförmige Gebäude ist auf einer Seite ver- glast, auf der anderen gedämmt und kann so, je nach Bedarf, Wärme aufnehmen oder Kühle bewahren. Die Sonne sorgt auch für Strom und warmes Wasser. Tau- sende von Besuchern – Schulklassen, Bürgermeister, Firmenchefs, Touristen – haben Disch und Lehmann in den vergangenen 25 Jahren durch ihre Privaträume geführt und ihnen die Besonderheiten des Hauses er- klärt. Auch Angela Merkel war schon da. Rolf Disch ist gebürtiger Freiburger, er wuchs als Sohn eines Zugführers in der Nähe des Güterbahnhofs auf. Nach der Volksschule machte er eine Schreinerlehre und entschloss sich danach, Architekt zu werden. „Es war ein bisschen mühsam, ohne Abi zum Studium zu kommen, aber es hat funktioniert“, erzählt er. Der Weg führte über eine weitere Lehre als Maurer, die Abend- schule des Jugendbildungswerks und die Bautechniker Schule Freiburg an die Hochschule Konstanz. Nach dem Studium arbeitete Disch kurz als Angestellter, ehe er sich 1969 im Alter von 25 selbstständig machte. Die Energiekrise der 1970er-Jahre hat ihn geprägt, berichtet Disch. Er wollte aktiv etwas tun und habe auf den Energiespar- und Solarbau gesetzt. Doch um die Projekte, die später gelobt und ausgezeichnet wurden, zu verwirklichen, musste er oft große wirt- schaftliche Risiken eingehen, weil Geldgeber weniger abenteuerlustig waren als er. Das Heliotrop begann Disch zu bauen, ehe die Finanzierung gesichert war. Die nötigen 1,5 Millionen Mark bekam er schließlich von der Ökobank und Privatinvestoren. Bei der So- larsiedlung und dem Sonnenschiff halfen die Scho- koladen-Unternehmer Alfred Ritter und Marli Hoppe- Ritter sowie sechs Investitionsfonds, die Disch selbst ins Leben gerufen hatte. Gerade arbeitet der Solar- pionier wieder mal an einem Großprojekt mit Modell- charakter. In Schallstadt nahe Freiburg plant er einen Riegel von Plusenergiehäusern mit circa 70 Wohn- sowie 16 Gewerbeeinheiten und einem Konzept, das die Zahl an Pkw mit Verbrennungsmotor reduzieren hilft. Voraussichtliche Kosten: rund 30 Millionen Euro. Mobilität ist auch ein Thema, das ihn umtreibt. „Immer, wenn es gelingt, Autos die Dominanz zu neh- men, sie aus den Wohngebieten rauszuhalten, reden die Leute vom Paradies“, sagt Disch, der selbst seit vielen Jahren kein Auto mehr besitzt. In der Stadt und in den Urlaub fährt er mit dem Fahrrad, längere Stre- cken mit dem Zug. Disch ist seiner Zeit voraus. Er hat zwar viele Prei- se und Anerkennung bekommen. „Ich bin aber auch belächelt, ja ausgelacht worden, selbst im Freundes- kreis“, sagt er und zitiert Schopenhauer: „Ein jedes Problem durchläuft bis zu seiner Anerkennung drei Stufen: In der ersten erscheint es lächerlich, in der zweiten wird es bekämpft, und in der dritten gilt es als selbstverständlich.“ Der Solararchitekt wähnt sich jetzt in der dritten Phase, deshalb macht er weiter. Die aktuelle Klimadebatte und die „Fridays for Future“-Bewegung geben ihm Ansporn. Er geht zu den Demonstrationen, findet sie allerdings ein bisschen harmlos („wir haben früher Latschdemos gesagt“) und sympathisiert mit der „Extinction Rebel- lion“, die mit zivilem Ungehorsam protestiert. Disch, der im Januar 75 Jahre alt geworden ist, macht kei- nerlei Anstalten, sich zur Ruhe zu setzen. „Ich trenne nicht so sehr zwischen Privat und Geschäft“, sagt er. „Das ist eins – Lebenszeit.“ Projekte wie aktuell das in Schallstadt voranzubringen, sieht er als seine Auf- gabe. Deshalb wird er aktiv bleiben, solange es geht. Gleichwohl hat er die Zeit danach im Blick, ist mit seinen Mitarbeitern über die Nachfolge im Gespräch. Sein Sohn kommt dafür nicht infrage, der ist in einem ganz anderen Metier sehr erfolgreich: Steffen Disch (47) betreibt das Sternerestaurant „Raben“ in Horben und ist als Fernsehkoch bekannt. kat KOPF des Monats  »Ich wurde belächelt,   ja ausgelacht«

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