Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September '19 -Südlicher Oberrhein

9 | 2019 Wirtschaft im Südwesten 7 D ie Woche beginnt für Andreas Lorenz immer mit einem virtuellen Rundgang durch chinesische Onlineshops. Bei Alibaba, Taobao, Aliexpress und anderen Handelsplattformen sucht der Verkaufsleiter der Werner Beiter GmbH & Co.KG nach Fälschungen von Beiter-Produkten – und wird stets fündig. „Die Chinesen stellen wahrscheinlich mehr Fälschungen her als wir Ori- ginale“, sagt Lorenz. Beiter produziert Zubehör für den modernen Bogensport. Die wichtigsten Produkte sind Pfeilenden, sogenannte Nocken, und die Gegenstücke auf der Sehne, die sogenannten Nockpunkte (siehe Bild Seite 8). Unter Sportbogenschützen ist der Name Beiter so bekannt wie Adidas oder Nike, fast die gesamte Weltelite schießt mit Beiter-Produkten. Das Unternehmen aus Dau- chingen am nordöstlichen Rand des Schwarzwald-Baar- Kreises ist somit zugleich Weltmarktführer und Kleinstbe- trieb. Es beliefert Kunden in mehr als 60 Ländern direkt, ist weltweit über Händler vertreten und zählt doch nur ein Dutzend Mitarbeiter – inklusive der geschäftsführenden Familie. Ein neues Hobby des Firmengründers führte zu dieser Spezialisierung und Marktstellung. Werner Beiter hatte die nach ihm benannte Firma 1968 als Konstruk- tionsbüro für Kunststoffteile und Spritzgusswerkzeuge gestartet, produzierte für die Elektronikindustrie, die Feinwerk- und die Medizintechnik. Weil Handball ihm zu anstrengend wurde, verlegte sich Beiter, ein typischer schwäbischer Tüftler, auf den Bogensport, entwickelte dafür sogleich technische Neuerungen und ließ diese patentieren. Das war 1985. Schon ein Jahr später wurde der erste Schütze mit Beiter-Technik Weltmeister, nach zwei Jahren hatte fast die gesamte Bogensportelite auf Beiter-Nocken umgestellt. Plagiate waren die längste Zeit kein Thema für das Unter- nehmen gewesen. Zwar tauchten ab und an mal ähnliche Produkte auf – „aber das hat uns nie Angst gemacht“, berichtet Nicole Beiter-Lorenz. Die Tochter von Werner Beiter führt das Unternehmen mittlerweile, ihr Mann Andreas Lorenz ist Verkaufsleiter. Der Südtiroler zählte früher selbst zu den Topbogenschützen und engagiert sich heute im Weltverband. An den Tag, der alles änder- te, erinnert sich Lorenz noch sehr genau. Es war Anfang des Jahres 2015, er saß hinter seinem Stand auf der US-amerikanischen Bogensportfachmesse in Indiana- polis, als ein europäischer Händler ihm bei Facebook einen Link zeigte, der zu gefälschten Beiter-Produkten führte. Dort fanden sich in großer Zahl alle ihre Nocken, komplett und flächendeckend kopiert, inklusive Name und Logo. Eigene Recherchen zeigten ihnen das ganze Ausmaß, zum Teil führten chinesische Großhändler so- wohl Originale als auch Fälschungen. „Da hat sich ein Abgrund für uns aufgetan“, sagt Beiter-Lorenz. Seither fechten sie und ihr Mann einen schier aussichtslosen Kampf. Sie haben viel Geld, Nerven und schlaflose Näch- te investiert, Geschäftsbeziehungen überdacht, Partner und Verbände kontaktiert und immer wieder gemerkt: Schutzrechte zu haben ist das eine, sie durchzusetzen etwas ganz anderes. Vor allem, wenn die dafür nötigen Mittel begrenzt sind. „Uns kostet das genauso viel wie die Großen, aber für uns als Kleinbetrieb hat das eine ganz andere Dimension“, sagt Nicole Beiter-Lorenz. Einmal beteiligten sie sich dennoch an einer Razzia in China, die ein US-Mitbewerber organisiert hatte. Der Erfolg war ernüchternd, die beschlagnahmten Waren und Werkzeuge wurden nicht ausgehändigt und ver- schwanden. Wenn einer aufhört, fängt ein anderer an. Mit zunehmender Dreistigkeit. Mittlerweile werden nicht nur Nocken gefälscht, sondern weitere Produktreihen von Beiter und nur etwas billiger als das Original verkauft, sodass es wie ein Rabatt anmutet. Ein einfaches und erfolgreiches Gegenmittel, das Beiter jetzt verwendet, sind mit QR-Codes versehene Etiket- ten, über die Kunden die Seriennummer des Produkts überprüfen können. Das funktioniert aber nur, weil Beiter gleichzeitig am anderen Ende der Konsumkette ansetzt, seine Kunden informiert und sensibilisiert. So gefährden die Plagiate das Unternehmen bislang nicht, der Umsatz entwickelt sich weiter gut. Doch der Kampf als Kleinstunternehmen gegen Produktpiraten am an- deren Ende der Welt erfordert einen unverhältnismäßig hohen finanziellen und auch großen emotionalen Ein- satz. Deshalb haben die vergangenen Jahre bei Nicole Beiter-Lorenz und Andreas Lorenz Bitterkeit hinterlas- sen. Sie wünschen sich einfach mehr Unterstützung. D ie bietet beispielsweise der – auch auf Initiative der IHKs – 1997 gegründete Aktionskreis gegen Produkt- und Markenpiraterie (APM). Er vereint bundesweit knapp 60 unterschiedlich große Unternehmen im Kampf gegen Fälschungen. Die Liste der Mitglieder reicht von Adidas bis ZF Friedrichshafen, umfasst also Markenhersteller gleichermaßen wie Automobilzulieferer, auch Medizintechnikhersteller, Werkzeug- und Maschi- nenbauer sind darunter. Denn gefälscht wird alles, was sich verkaufen lässt, klassische Markenware genauso wie Schrauben, Auto- und Maschinenteile, ja ganze Maschi- nen. Schätzungsweise drei Viertel der deutschen Unter- nehmen sind betroffen. Der APM sieht sich vor allem als Plattform für Erfahrungsaustausch. Für einen Jahresbei- trag von aktuell 3.500 Euro (unabhängig von der Unter- nehmensgröße) bietet er seinen Mitgliedern Seminare, vertritt ihre Interessen im In- und Ausland und informiert die Öffentlichkeit über Plagiate – beispielsweise mit der Wanderausstellung „Schöner Schein, dunkler Schatten“, die jetzt in Freiburg gastiert (siehe Kasten Seite 10). Den von Produktpiraten verursachten Schaden beziffert der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) allein für seine Branche auf rund 7,3 Milliar- den Euro. Die Umsatzverluste für die gesamte deutsche Wirtschaft schätzt das Wirtschaftsministerium auf mehr als 50 Milliarden Euro. Vergangenes Jahr beschlagnahm- te der Zoll in mehr als 37.000 Fällen Fälschungen. Allein bei den Hauptzollämtern Singen und Lörrach belief sich deren Wert auf jeweils rund eine halbe Million Euro. Die Europäische Kommission meldete für 2017 EU-weit knapp 70.000 Fälle gefälschter Produkte mit einem Marktwert von mehr als 580 Millionen Euro. O ft wissen die Händler gar nicht, dass sie Fäl- schungen im Sortiment haben. Deshalb tourt Eva Hilbert regelmäßig durch Baumärkte. Ausgestat- »Uns Kleinbe- triebe kostet das genauso viel wie die Großen« Nicole Beiter-Lorenz Geschäftsführerin Werner Beiter GmbH & Co.KG, Dauchingen »Es gibt wahrscheinlich mehr Fälschungen als Originale« Andreas Lorenz Verkaufsleiter Werner Beiter GmbH & Co.KG, Dauchingen

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