Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe September '19 -Schwarzwald-Baar-Heuberg
Wirtschaft im Südwesten 9 | 2019 8 tet mit Lupe und Werkzeug inspiziert die junge Ingenieu- rin dort das Armaturensortiment. Eva Hilbert interessiert der letzte Zentimeter der Wasserhähne, wo die Produkte ihres Arbeitgebers verbaut sind beziehungsweise sein sollten. Neoperl (weltweit rund 1.900 Mitarbeiter, circa 314 Millionen Euro Umsatz 2018) produziert sogenannte Strahlregler, also die kleinen Siebe vorne am Hahn, die den Wasserstrahl formen. Das Müllheimer Unternehmen ist damit Weltmarktführer, es beliefert Armaturenherstel- ler in mehr als 70 Ländern. Rund 150 Millionen Strahl- regler verließen vergangenes Jahr das Werk in Müllheim. Der Erfolg ruft Nachahmer auf den Plan, deshalb ist Eva Hilbert unterwegs. Sie sucht gezielt nach Fälschungen. Bei ihrer jüngsten Tour in Frankreich wurde sie an einem Tag ein halbes Dutzend Mal fündig. Die Größenordnung der Plagiate liegt insgesamt zwischen zehn und fünfzehn Prozent der eigenen Produktion, schätzt Christoph Weis, Geschäftsführer Innovation bei Neoperl. Die „Fakes“, wie Weis jene Produkte nennt, die gegen die eigenen gewerblichen Schutzrechte verstoßen, sind im Falle Neoperls gar nicht so einfach zu entdecken: Man muss die Armatur aufschrauben oder auseinan- dernehmen und das Sieb mit der Lupe inspizieren. Auf dem Original ist immer irgendwo der Markenname zu finden, den haben die Fälscher bislang nicht verwen- det. Hilbert und Weis legen die Fälschungen unters Mikroskop, einige haben sie auch schon durch den Computertomografen geschickt, um das Innenleben und die Bauweise inspizieren zu können. Produktpirate- rie beschäftigt Neoperl seit Anfang der Nullerjahre, es begann mit dem Erstarken des chinesischen Marktes. Die ersten Fakes waren noch recht stümperhaft, sie haben sich aber zusehends verbessert. Mittlerweile braucht es oft Kennerblick und -wissen, um Original und Fälschung zu unterscheiden (siehe Bild oben). Weis spricht mit Respekt über China – „viele unse- rer Kunden sind chinesische Hersteller“ – und auch über die Firmen, die ihm das Leben schwer machen. Er kann sich vorstellen, dass sie irgendwann gut genug werden, um eigene Produkte herzustellen, statt die anderer zu fälschen. Das könnte das Problem der Pi- raterie verkleinern. Bis es so- weit ist, verfolge Neoperl eine „Strategie der vielen kleinen Nadelstiche“. Christoph Weis reist mehrmals pro Jahr an die chinesische Südküste, wo sich die Armaturenhersteller kon- zentrieren – Markenhersteller, die Neoperls Kunden sind, gleichermaßen wie Herstel- ler der Fakes. Hier trifft er sich mit chinesischen Anwäl- ten, die wiederum einheimische Detektive engagieren, um den Anfang der Kette zu finden, also die Fälscher aufzuspüren. „Als Westler hat man da keine Chance“, sagt Weis. Es seien meist kleine Hinterhoffirmen, die häufig unter abenteuerlichen Bedingungen produzieren und die Fakes über viele verschiedene Kanäle in den Markt bringen. Sie landen mitunter auch bei Neoperl- Kunden, die davon gar nichts wissen, denn das ihnen vorgelegte Muster enthielt noch das Original. Oberste Priorität ist es laut Weis, die weitere Verbrei- tung der Fakes zu stoppen. Das klappt nicht immer außergerichtlich. Derzeit laufen in China 44 Verfahren wegen Verletzung von Neoperls Patentrechten. Bislang waren die Müllheimer in allen Streitfällen erfolgreich. Allerdings ist der zugesprochene Schadensersatz stets zu gering oder nicht zu bekommen, und die Produktion wird meist schnell unter neuem Namen und anderen Eigentumsverhältnissen fortgesetzt. Der Kampf scheint frustrierend, und doch bewirkt er etwas. Denn die Ge- richtsprozesse erschweren den Fälschern immerhin ihr Tun. Und vor allem weiß man, dass Neoperl sich wehrt. So trägt die Mühe denn doch Früchte. Wenn wie zuletzt im Frühjahr diesen Jahres beim Zollrundgang auf der ISH in Frankfurt ein Pulk von Beamten, Patentanwälten und Unternehmensvertretern mit ihren Lupen durch die Hallen der wichtigsten Messe der Sanitärbranche sieht, stoßen sie mittlerweile auf keine gefälschten Neoperl- Produkte mehr. Und Eva Hilbert tourt nicht mehr durch deutsche Baumärkte, weil sie dort die vergangenen Male nichts mehr gefunden hat. I nsgesamt allerdings hat das Ausmaß von Produkt- und Markenpiraterie in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen mit teilweise skurrilen Ausmaßen. So machten wiederholt komplett kopierte Geschäfte in China Schlagzeilen – Apple- Shops, ein ganzes Ikea-Möbelhaus oder eine voll- ständig bestückte Filiale der deutschen Drogeriekette „dm“. Hotspot der Produkt- und Markenpiraterie ist nach wie vor Ostasien, vor allem China. Zwei Drittel der vom deutschen Zoll beschlagnahmten Plagiate kom- men aus dem Reich der Mitte. Mehr Globalisierung, weniger Handelshemmnisse und der wachsende Inter- nethandel erleichtern den Fälschern die Arbeit, auch moderne Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten sowie neue Produktionstechniken wie 3D-Druck. Die Strukturen sind für Europäer oft undurchschaubar. Es gibt meist nicht nur den einen Fälscher, sondern um- fangreiche Netzwerke von vielen kleinen Firmen. Jeden Produktions- und Vertriebsschritt macht eine andere. »Wir verfolgen die Strategie der vielen kleinen Nadel- stiche« Christoph Weis Geschäftsführer Innovation Neoperl, Müllheim Die Originalpfeilenden von Beiter (links). Bilder von Fälschungen veröffentlicht das Dauchinger Unternehmen nicht, weil die Unterschiede optisch nicht erkennbar sind. Oben: ein gefälschter Strahlregler, rechts dane- ben der Original „Perlator“ von Neoperl.
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