Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli/August '19 -Südlicher Oberrhein

7+8 | 2019 Wirtschaft im Südwesten 51 Nach dem EuGH-Urteil Zurück zur Stechuhr? W as war geschehen? Eine spanische Gewerk- schaft hatte in Spanien gegen die Deutsche Bank auf Feststellung der Verpflichtung ge- klagt, ein System zur Erfassung der von den Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten. Nur so, meinte die Gewerkschaft, könnten die geleisteten Über- stunden auch überprüft werden. Eine entsprechende Verpflichtung ergebe sich aus der Charta der EU und der Arbeitszeitrichtlinie, argumentierte die Gewerkschaft und berief sich darauf, dass 53,7 Prozent der in Spanien geleisteten Überstunden nicht erfasst würden. Das zuständige spanische Gericht legte den Rechts- streit zur Klärung der Europarechtskonformität dem EuGH vor. Dieser entschied wiederum sinngemäß, dass es die Richtlinie im Sinne der EU-Charta nicht zulas- se, wenn Mitgliedsstaaten auf eine Regelung, die den Arbeitgeber wiederum verpflichte, ein Messsystem zur Erfassung der Regelarbeitszeit zu installieren, ver- zichteten. Ohne ein solches System könnten weder die Regelarbeitszeit noch die Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, sodass es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich sei, ihre Rechte durchzusetzen. Im Ergeb- nis obliege es den Mitgliedsstaaten, die konkreten Modalitäten der Umsetzung eines solchen Systems zu bestimmen, wobei sowohl die Form als auch die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, wie die Unternehmensgröße, von den nationalen Gesetz- gebern berücksichtigt werden dürften. Diese Entscheidung wird große Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht, aber auch auf die europäische Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Mitte Mai auch die deutsche Arbeitsrechtswelt mit einem Paukenschlag wach ge- rüttelt. Sämtliche Mitgliedsstaa- ten der EU wurden verpflichtet, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ ein- zurichten, mit dem die von ei- nem jeden Arbeitnehmer geleis- tete tägliche Arbeitszeit künftig gemessen werden könne. Zum Hintergrund und zu den Auswir- kungen dieser Entscheidung. Die Zeiterfas- sung jenseits der üblichen Systeme dürfte den deutschen Gesetzgeber vor große He- rausforderun- gen stellen Praxis im Umgang mit der Arbeitszeit und den Über- stunden haben. Denn eine Vielzahl von Arbeitszeiten wurde und wird in Deutschland nicht dokumentiert. Sämtliche Mitgliedsstaaten werden die Entscheidung in nationales Recht umzusetzen haben. Die Gesetzgeber erhalten zwar Spielräume hinsichtlich der Besonder- heiten von Branchen, Tätigkeiten, Eigenheiten oder der Größe bestimmter Unternehmen. Dennoch enthält der europäische Richterspruch einen Gesetzgebungsauf- trag. Eine Frist hat der EuGH den betroffenen Gesetz- gebern und damit auch dem deutschen Gesetzgeber nicht gesetzt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, in dessen Res- sort das Thema fällt, hat bereits angekündigt, bis Ende des Jahres 2019 Antworten auf die Entscheidung geben und gegebenenfalls bis dahin auch bereits einen Ge- setzesentwurf vorlegen zu wollen. Insbesondere vor dem Hintergrund einer sich zu- nehmend wandelnden Arbeitswelt – beispielsweise aufgrund der wachsenden Zahl von Homeoffice- Regelungen oder der Nutzung von mobilen Kommu- nikationsmitteln jenseits des Arbeitsplatzes und der Arbeitszeit – darf man gespannt sein, wie der deutsche Gesetzgeber die Entscheidung im Einzelnen umzuset- zen gedenkt. Die Zeiterfassung jenseits der üblichen Systeme dürfte auch den deutschen Gesetzgeber vor große Herausforderungen stellen. Auch bisherige Modelle, wie die sogenannte Vertrauensarbeitszeit dürften künftig nicht mehr den Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH genügen. Olaf Müller Endriß und Kollegen, Freiburg Bild: SlobodanMiljevic/iStock

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5