Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'19 - Hochrhein-Bodensee

6 | 2019 Wirtschaft im Südwesten 7 D ie Rahmenbedingungen sind gut: Die Wirtschaft brummt, in der Region herrscht nahezu Vollbeschäftigung und – auch angesichts niedriger Zinsen – Kauflaune. Passend dazu konnte der Einzelhandel 2018 seine Umsätze im neunten Jahr infolge steigern. Deutschlandweit verbuchte die Branche on- und offline ein Plus von 2,8 Prozent, in Baden-Württemberg von 2,5 Prozent. Der Südwesten hinkte mit einem Umsatzzuwachs von 1,6 Prozent allerdings hinterher. Dafür gibt es mehrere Gründe. Ein wichtiger ist der boomende On- linehandel, der laut Handelsverband Deutschland bundesweit um 9,1 Prozent zulegte, während der stationäre Handel lediglich ein Plus von 1,2 Prozent verzeichnete. Am zweitschlechtesten in der Region schnitt Freiburg ab, wo die Händler einen Um- satzrückgang von 0,5 Prozent hinnehmen mussten (siehe Kasten Seite 9). Dies geht aus einer Umfrage des Han- delsverbands Südbaden unter seinen 1.900 Mitgliedern hervor. Freiburg litt 2018 das dritte Jahr hintereinander unter den Großbaustellen in der Innenstadt, die im März mit der Eröffnung der neuen Straßenbahnlinie entlang des Rotteckrings abgeschlossen worden sind. Dagegen legte das Freiburger Umland um 2,3 Prozent zu. Die Händ- ler entlang der Schweizer Grenze spürten das Ende der mehrjährigen Sonderkonjunktur, die ihnen angesichts des günstigen Wechselkurses viele zusätzliche Schweizer Kunden beschert hatte. Am Hochrhein verzeichneten sie daher ein Minus von 1,5 Prozent – die Region wurde damit Schlusslicht im Südwesten. Das leichte Plus von 0,7 Prozent am Bodensee wurde laut Utz Geiselhart, dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Südbaden, nur von den Händlern ohne Grenzlage getragen. Die Konstanzer hätten ein Minus im zweistelligen Bereich verzeichnet. Im ganzen Südwesten berichteten 60 Prozent der befragten Händler von rückläufigen Umsätzen mit Schweizern. Dies belegen auch die ausgestellten Ausfuhrkassenzettel (siehe Kasten zur Bagatellgrenze Seite 8), deren Zahl 2018 um gut sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist und leicht unter dem Niveau des Jahres 2014 lag, der Zeit vor dem währungsbedingten Boom. Gleichwohl betont Geiselhart: „Der südbadische Einzelhandel ist eigentlich gut aufgestellt.“ Auch die Geschäfte mit den Schweizer Kunden „sind noch auf gutem Niveau“. Seipp Wohnen in Waldshut-Tiengen Den Rückgang der Schweizer Kunden spürt auch das auf hochwerti- ge, designorientierte Möbel und Küchen spezialisierte Unternehmen Seipp Wohnen aus Waldshut-Tiengen. „Die Frequenz ist rückläufig, aber der Kurs des Schweizer Franken ist nach wie vor attraktiv“, sagt Geschäftsführer Jochen Seipp. Während der Jahre der Sonderkon- junktur hatte das Unternehmen aufgrund der gestiegenen Nachfrage 20 neue Mitarbeiter eingestellt; insgesamt zählt es heute 140 Be- schäftigte an drei Standorten. Nach wie vor machen Schweizer – vor allem rund um den Zürichsee – etwas mehr als die Hälfte seiner Kunden aus. Diese investieren auch angesichts der niedrigen Zinsen nach wie vor gerne in hochwertige Möbel und Küchen. „Die kleineren Händler und Gastronomen in der Innenstadt sind zum Teil stärker vom Rückgang der Schweizer Kunden betroffen“, sagt Jochen Seipp, der zugleich Sprecher des Werbe- und Förderungskreises Waldshut ist. Dies wäre auch bei einer Einführung einer Bagatellgrenze für die Umsatzsteuerrückerstattung der Fall. „175 Euro sind für mich keine Bagatelle“, betont Jochen Seipp. Eine Herausforderung ist für ihn der digitale Wandel. Obwohl das Internet das Anschauen, Fühlen und Probesitzen nicht bieten kön- ne. Die Mehrheit seiner Kunden informiert sich vorab im Internet, berichtet Jochen Seipp. Daher ist es für ihn wichtig, eine informative, aktuelle und stylische Website mit möglichst vielen Produkten zu bieten, die so optimiert ist, dass sie Menschen in seinem Einzugs- gebiet bei der Internetrecherche als einer der ersten drei Treffer gezeigt wird. Zwei Mitarbeiter arbeiten seit sechs Jahren in diesem Bereich. „Wir haben schon immer viel in die Ausstellung investiert, aber jetzt tun wir dies auch virtuell“, sagt Jochen Seipp. Das sei ein deutlicher Mehraufwand. Zurzeit entsteht am Standort in Tiengen außerdem ein Erweiterungsbau mit einer zusätzlichen Ausstellungsfläche von rund 1.000 Quadratmetern – die Hälfte davon im Innern, die andere im Außenbereich, wo Gartenmöbel ausgestellt werden, die vor allem die Schwei- zer Kunden verstärkt nachfragen. Auch die bestehende, rund 7.000 Quadratmeter große Ausstellung, wird nach und nach renoviert. „Der Handel hat nur eine Chance, wenn die Ladenfläche von Zeit zu Zeit modernisiert wird“, ist Jochen Seipp überzeugt. „Ziel ist, ein attraktives Ein- kaufserlebnis zu bieten.“ Doch die Präsentation der Ware allein genügt nicht: Seipp setzt seit jeher auf Beratung und erledigt die Zollforma- litäten, und die hauseigenen Schreiner liefern und mon- tieren die Produkte. Immerhin ist das Thema Nachfolge für Seipp Wohnen erstmal abgeschlossen: Rund 20 Jahre lang hat die Familie die Übergabe des Unternehmens von der dritten auf die vierte Generation beschäftigt, berichtet Jochen Seipp, der das Unternehmen gemeinsam mit seinem Bruder Martin, seinem Cousin Volker und seit zwei Jahren auch mit seiner Cousine Sophia führt. Klavierhaus Hermann in Trossingen Das Klavierhaus Hermann beschäftigt sich zurzeit sowohl mit der Unternehmensnachfolge, als auch mit dem Wandel im Einzelhandel. 1987 gründeten Petra und ihr Mann Anton Hermann in Seitingen- Oberflacht das Unternehmen. „Wir wollten unsere Passion zum Beruf machen“, sagt Petra Hermann. 1992 zogen sie mit dem Ge- schäft nach Trossingen, das in der Musikhochschulstadt schnell zu einer Institution wurde. Heute sind sieben Angestellte, darunter drei Klavierbaumeister, beschäftigt. „Doch auch wir überdenken konti- nuierlich unsere Strategie und die Ausrichtung unseres Hauses“, betont die Unternehmerin. So seien die Umsätze im Kleinbedarfs- bereich – dieser umfasst zum Beispiel Noten und Mundharmoni- kas – in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. „Hier merkt man deutlich, dass eine Verlagerung in Richtung Onlinehandel stattfindet.“ Vergangenes Jahr ist die 31-jährige Tochter Vanessa in den Fami- lienbetrieb eingestiegen. Als klar war, dass sie das Klavierhaus in die nächste Generation führen wird, stellte die Familie gemeinsam Gute Beratung, angenehme Atmosphäre, besonderes Sortiment und digitale Sichtbarkeit – darauf setzen Einzelhändler angesichts des boomenden Onlinehandels und zurückgehender Kundenfrequenzen in den Innenstädten. Wir beleuchten die Situation der Branche im Süd­ westen anhand von Beispielen. »Der Handel hat nur eine Chance, wenn die Ladenflä- che von Zeit zu Zeit moderni- siert wird« Jochen Seipp , Seipp Wohnen, Waldshut-Tiengen

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