Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Oktober'18 - Südlicher Oberrhein

10 | 2018 Wirtschaft im Südwesten 19 D ie Lage auf dem Lehrstellenmarkt verschärft sich kontinuierlich. Das zeigt die aktuelle Aus- bildungsumfrage der IHK, an der sich 212 Unter- nehmen aus der Region Südlicher Oberrhein betei- ligt haben, die zusammen 1.200 Azubis zählen, das entspricht rund einem Viertel aller Lehrlinge des gesamten Kammerbezirks. „Es knirscht ordentlich auf dem Ausbildungsmarkt“, sagte Simon Kaiser, IHK-Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbil- dung, bei der Vorstellung der Umfrage Ende Au- gust. Die Situation sei nicht neu, sie verschlimme- re sich aber kontinuierlich. Die befragten Firmen konnten 127 ihrer insgesamt 1.184 angebotenen Lehrstellen nicht besetzen. Das entspricht einer Quote von über zehn Prozent. Keine geeigneten Bewerbungen nannten mehr als 82 Prozent der Betriebe als Grund für die Nichtbesetzung, etwa 30 Prozent gaben an, für ihre Ausschreibungen überhaupt keine Bewerbungen mehr zu erhalten. Wie reagieren die Betriebe darauf? Sie professio- nalisieren ihr Ausbildungsmarketing (55 Prozent) und investieren in mehr Praktikumsplätze (55 Prozent). „Als Unternehmen muss man sich heute interessant machen“, sagte Marie-Luise Wolf, Ausbildungsbetreu- erin für Lagerlogistik bei SMP in Bötzingen. Der Au- tomobilzulieferer bildet in 13 Berufen aus und zählt insgesamt rund 90 Azubis. „Wenn wir zum Beispiel auf einer Jobmesse sind, reicht es nicht mehr, einen Stand mit Infomaterial zu haben. Es muss modern und spritzig aussehen und am besten sollte noch eine Aktion zum Mitmachen und Anfassen für die Schüler dabei sein“, berichtete Wolf. Die Betriebe machen sich hübsch für ihre jungen Bewerber, einerseits mit veränderten Aus- bildungsinhalten, andererseits mit materiellen Anreizen. Die Bandbreite, die Kaiser aus der Umfrage zitierte, ist groß und reicht von übertariflicher Bezahlung und mehr Urlaubstagen bis zu Mobilitätsbeihilfen, Einkaufsgut- scheinen und Prämien für gute Leistungen. Außerdem richten die Unternehmen der Umfrage zu- folge den Fokus auf neue Bewerbergruppen. Studien- abbrecher beispielsweise, zumal die Abbrecherquote gerade bei technischen Studiengängen hoch ist. Und auch an Flüchtlingen haben die Ausbildungsbetriebe großes Interesse: Etwa ein Drittel der Befragten be- schäftigen bereits Flüchtlinge als Auszubildende oder planen, dies zu tun. „Die Absorptionsfähigkeit beim Thema Flüchtlinge ist groß“, sagte Kaiser. „Wir haben deutlich mehr Betriebe, die Flüchtlinge ausbilden wol- len, als geeignete Kandidaten zur Verfügung stehen.“ Die Ausbildungsreife bleibt ein großes Thema – auch weil mittlerweile schwächere Bewerber zum Zuge kommen. Die Unternehmen bemängeln vor allem die Schlüsselqualifikationen ihrer Auszubildenden wie Leistungsbereitschaft und Motivation (62,1 Prozent), Belastbarkeit (60,7 Prozent) und Disziplin (58,7 Pro- zent). Kaiser sieht darin auch eine gesellschaftliche Aufgabe, welche die Politik nicht aus den Augen ver- lieren und bei den Betrieben abladen dürfe. Wo es möglich ist, unterstützen Unternehmen ihre Auszubil- denden enorm. So gaben 38 Prozent der Befragten an, Nachhilfe im Unternehmen anzubieten, und 36 Prozent nutzen das Förderprogramm „Ausbildungsbegleitende Hilfen (abH)“ der Agentur für Arbeit. Außerdem wachse das Interesse an zweijährigen Ausbildungsberufen. Befragt nach strukturellen Ausbildungshemmnissen fällt die Antwort einhellig aus: 92 Prozent der Unterneh- men sehen die unklaren Berufsvorstellungen der Schul- abgänger, also eine mangelnde Berufsorientierung, als Problem. „Da ist noch viel zu tun“, sagte Kaiser. Allerdings nicht auf der Angebotsseite. Da gebe es viel, vielleicht zu viel, aber es komme nicht bei den Schülern an. „Wir brauchen eine Koordination und Harmonisie- rung der Angebote.“ Ausbilderin Wolf sieht auch die Eltern der Schulabgänger in der Verantwortung: „Viele junge Menschen werden heute alleine auf den Weg der Berufsfindung geschickt und verlieren sich in der Masse der Angebote. Sie sind auf Unterstützung und Rückhalt der Eltern angewiesen.“ Trotz negativer Trends lieferte die Umfrage auch eine erfreuliche Zahl: 83,6 Prozent der Betriebe gaben an, zufrieden oder sehr zufrieden mit der Unterrichtsqua- lität an den Berufsschulen zu sein. Als Verbesserungs- potenzial nannten 62,8 Prozent der Unternehmen die Kommunikation zwischen Schule und Betrieb. „Um über Auffälligkeiten informiert zu werden, muss man als Unternehmen jedoch auch selbst Kontakt zur Berufs- schule aufnehmen. Hier gibt es auch eine Holschuld der Unternehmen und nicht nur eine Informations- pflicht der Berufsschule“, betonte Wolf. heo/kat »Als Unterneh- men muss man sich heute inter- essant machen« IHK-Ausbildungsumfrage zeigt Schwierigkeiten des Ausbildungsmarktes Viele Lehrstellen bleiben leer Bild: ©industrieblick – stock.adobe.com

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5