Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juli'18 - Hochrhein-Bodensee

Wirtschaft im Südwesten 7+8 | 2018 12 Leute Neugierig auf Neues Ralph Rieker | Ricosta Schuhfabriken DONAUESCHINGEN. „Ich habe keine Angst vor Neuem“, sagt Ralph Rieker über sich. Schon oft in seinem Leben hat der 58-jäh- rige geschäftsführende Gesellschafter des Kinderschuhherstellers Ricosta Neues gelernt. Und das macht er gerade wieder: Seine zurzeit größte, aber zugleich eine spannende Herausforderung ist für ihn, den Transformationsprozess, den die Digitalisierung mit sich bringt, in seinem Unternehmen zu gestalten. Rieker berichtet, dass der digitale Wandel vielen seiner Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten Angst mache. Doch er ist überzeugt: „Die Jobs gehen nicht verlo- ren, sie verändern sich.“ Daher sieht Rieker seine Aufgabe vor allem darin, „seine Mannschaft“, wie er die Beschäftigten nennt, für die Veränderungen zu motivieren, ihnen ihre Ängste zu nehmen, sie zu begleiten ohne ihnen etwas zu befehlen. „Mitarbeiter sind das größte und wichtigste Kapital eines Unternehmens“, sagt Rieker. Daher ist es für ihn wichtig, sie respektvoll zu behandeln und ihnen Wertschätzung entgegenzubringen. So begrüßt er sie jeden Morgen persönlich, wenn er vor Ort in Donaueschingen ist. Auch Ralph Rieker selbst hatte bei Ricosta im Jahr 1987 als gewöhn- licher Mitarbeiter angefangen, bevor er 1996 die Geschäftsführung übernahm. Dabei hatte er seinem Vater an dessen Totenbett verspre- chen müssen, dies niemals zu tun. „Er wollte mich schützen“, sagt Rieker, denn der Vater starb, wie auch schon der Großvater, viel zu früh, mit 57 Jahren. Da war Ralph Rieker siebzehneinhalb Jahre alt und absolvierte eine landwirtschaftliche Ausbildung auf einem Lehrgutshof in der Schweiz. Die Geschichte seiner Vorfahren hat Rieker gelehrt, seine Mitarbeiter und sein Führungsteam selbstständig arbeiten zu lassen und loslassen zu können. So, wie es seinem Mentor, väterlichen Freund und Vorgänger Roland Bieger gelungen ist. Dieser führte nach dem Tod von Riekers Vater die Firma weiter, und mit ihm tauscht er sich noch heute ein- bis zweimal pro Woche aus. Nach seiner Ausbildung zum Ingenieur Agronom, wie man den Agra- ringenieur in der Schweiz nennt, arbeitete Rieker jeweils ein Jahr in landwirtschaftlichen Großbetrieben in den USA und in Kanada. Zurück in Europa absolvierte er in Zürich die Handelsschule und arbeitete dort in einer Bank, um dann festzustellen, dass dies nichts für ihn ist. So kam es, dass Rieker in den USA den Bachelor in Betriebs- und Volkswirtschaft machte und sich dann, wieder in Deutschland, mit 26 Jahren bei Ricosta um einen Job bewarb. Den bekam er aber nicht. Zumindest nicht sofort. Denn, so berichtet Ralph Rieker, Roland Bie- ger habe ihm deutlich gemacht, dass es nicht genüge, Sohn zu sein, um bei Ricosta zu arbeiten. „Er hat verlangt, dass ich das Schuhma- cherhandwerk lerne. Und das war auch gut so.“ So musste der junge Mann wieder Neues lernen. Er ging erst in Offenbach und dann in England in die Lehre und absolvierte verschiedene Praktika. Für sein Meisterstück, ein Paar selbstgefertigte Reitstiefel, die noch heute in seinem Büro stehen, wurde er als Jahrgangsbester von Prinzessin Ann ausgezeichnet. Während der Ausbildung wurde nicht nur seine Liebe zu Schuhen geweckt, sondern auch sein Bewusstsein dafür, wie anspruchsvoll es ist, gute Schuhe zu fertigen. Nachhaltiges Wirtschaften ist Ralph Rieker ebenfalls wichtig. Das sei aber typisch für die absolute Mehrheit aller mittelständischen Unter- nehmen, sagt er. Mit Nachhaltigkeit meint er nicht nur den bewussten Umgang mit der Umwelt, sondern auch mit dem Ort des Firmensitzes und dessen Umgebung sowie vor allem mit den Mitarbeitern – bei Ri- costa sind rund 800 Männer und Frauen beschäftigt, davon 167 in Do- naueschingen. Alle Werke, also auch die in Ungarn, Polen, Rumänien und Kroatien, wo Ricosta im Gegensatz zur Region Näherinnen findet, sind EMAS-zertifiziert – „um das, was wir ohnehin tun, sichtbar zu machen“. Insgesamt produzieren die Mitarbeiter etwa zwei Millionen Kinderschuhe der Marken Ricosta und Pepino im Jahr. Rund 50 Millionen Euro setzte das Unternehmen zuletzt um. Seine Wurzeln hat Ricosta in der Firma Rieker, die Ralph Riekers Urgroßvater 1874 in Tuttlingen gründete. 1970 teilten Riekers Vater Roland und zwei seiner Cousins das Unter- nehmen in drei Teile auf. Einer davon waren die Ricosta-Kinderschuhe, die Roland Rieker in die Eigenständigkeit führte. Was treibt Ralph Rieker an? „Die Pflicht, etwas zurückzugeben. Nicht nur Geld, sondern auch Wissen und Engagement“, sagt er. Davon zeugt auch sein ehrenamtlicher Einsatz für die Branche: 16 Jahre lang leitete Rieker das Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens und machte es zu einer weltweit anerkannten Institution. Dafür wurde er mit dem Verdienstkreuz des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Außerdem stand er zehn Jahre dem Hauptverband der Deutschen Schuh- und Lederwarenindustrie vor – und veränderte ihn durch Fusionen und einen Umzug von Offenbach nach Berlin grundlegend. Dabei, betont Rieker, hätte ihm seine Eigenschaft, Leute zusammenzubringen, ge- holfen. Seine analytische Fähigkeit ebenfalls. Diese wurde bei Lau- datien mehrfach hervorgehoben, zuletzt im November, als er mit der Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet wurde. 2017 gab Rieker den Vorsitz von Institut und Verband ab, ist in beiden aber weiterhin aktiv. Aber eben weniger. Nun genießt er es, mehr Zeit fürs Segeln und Skifahren – seine zwei Passionen, wie er sagt – zu haben und mehr Zeit zu Hause in Meersburg an seinem geliebten Bodensee zu verbringen („Er hat eine positive Magie zu jeder Jahreszeit“). Und eben auch Zeit und Energie für Neues zu haben – wie den digitalen Wandel in seinen Schuhfabriken. mae KOPF DES MONATS  »Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital«

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ2MDE5