Wirtschaft im Südwesten - Ausgabe Juni'18 - Südlicher Oberrhein

6 | 2018 Wirtschaft im Südwesten 21 Per Girls’ Day zur Industriemechanikerin Talent fürs Technische K erstin Boos wird erst rot, als sie auf den Bildschirm des Laptops schaut, dann muss sie lachen. „Stimmt, das da auf dem Foto bin ich.“ Die 19-Jährige macht eine Ausbildung zur Industriemechanikerin bei Meiko Maschinenbau. Als sie in der achten Klasse war, hat sie den sogenannten Mädchen-Zukunftstag bei dem Offenburger Unternehmen absolviert. Die junge Frau im dritten Ausbildungsjahr mit schwarzer Arbeiterhose und schwar- zem Meiko-T-Shirt hat nichts mehr gemein mit dem zaghaften Mädchen mit Schildkappe und deutlich zu großer Arbeitsjacke auf dem Bild, das ihr Stefanie Möschle zeigt. „Du hast Dich ganz schön verändert“, stellt die Personalreferentin fest. Kerstin Boos besuchte die Mörburg-Schule in Schutterwald. Dort war die Teilnahme am Girls’ Day Pflicht, deshalb suchte sie „nach einer Firma, bei der ich etwas Technisches ausprobieren konnte.“ Einen Beruf an einem Schreibtisch, in einem Büro – den wollte sie auf gar keinen Fall. „Das war noch nie mein Ding. Ich möchte am Abend sehen, was ich geleistet habe“, erklärt die Auszubildende. So kam sie zum Hersteller professioneller Spültechnik. Heute wie damals läuft der Girls’ Day bei Meiko ähnlich ab, berich- tet Stefanie Möschle: Im Schulungsraum erfahren die Mädchen zunächst Informationen über die Firma. Anschließend werden sie eingekleidet, was manchmal, wie damals bei Kerstin Boos, nicht ganz passt. Und dann dürfen sie selbst aktiv werden, bevor sie den Rest des Tages einem Mitarbeiter an einer der großen Maschinen zugewiesen werden, zuschauen und auch Hand anlegen dürfen. „Wir haben ein Mühlespiel aus Metall gebaut“, erinnert sich Kerstin Boos. „Dabei durften wir selbst feilen und bohren.“ Sie weiß noch genau, dass sie damals niemanden kannte, auch keines der anderen Mädchen, und wie nett und geduldig die Meiko-Mitarbeiter, darunter auch viele Azubis, alles erklärten. Zwei Jahre später, vor ihrem Realschulabschluss, besuchte die Al- tenheimerin die Berufsinfomesse (BIM) in Offenburg. „Da hatte ich mich eigentlich schon festgelegt, dass ich einen technischen Beruf ergreifen will“, erzählt Boos. „Aber da gibt es ja so viele!“ Auf der BIM stieß sie erneut auf Meiko. „Ohne Girls’ Day wäre ich vermutlich am Stand vorbeigelaufen.“ Doch so blieb sie stehen und informierte sich, welche technischen Berufe die Firma anbietet. Einer schriftlichen Anfrage folgte ein dreitägiges Praktikum in der Produktion, das ihr gut gefiel. Dennoch zögerte Kerstin Boos und überlegte, weiter die Schule zu besuchen. Am Ende hat sie doch Bewerbungen um Ausbildungsplätze verschickt und mehrere Zusa- gen bekommen. Sie entschied sich für Meiko und die Ausbildung zur Industriemechanikerin. Auf dem Laptop von Personalreferentin Stefanie Möschle finden sich nicht nur Bilder von früheren Girls’ Days, sondern auch alte Praktikumsbeurteilungen. „Da hatte Kerstin sehr gut abgeschnit- ten.“ Interesse und Talent für die technischen Berufe waren bei ihr vorhanden. Möschle: „Aber oft ist es so, dass sich die Mädchen erst durch den Girls’ Day Gedanken machen, einen solchen Be- ruf wirklich zu wählen.“ Auch in diesem Jahr kamen wieder zwölf Mädchen zum Girls’ Day zu Meiko. Wie viele davon irgendwann als Azubis zurückkehren, ist ungewiss. „Aktuell haben wir im ersten Ausbildungsjahr ein Mädchen in den technischen Berufen, im Herbst beginnen immerhin zwei“, berichtet Möschle. Zur Verbesserung der Quote tut der Betrieb einiges: Jedes Mädchen, das sich bei Meiko für eine technische Ausbildung bewirbt, bekommt die Chance, sich vorzustellen. Kerstin Boos ist bei den Industriemechanikern allein unter Männern. Macho-Gehabe? Da muss die 19-Jährige lachen. „Nein, ich bin eine von denen.“ Sie sei zwar nicht sehr groß, aber Nachteile habe sie in dem Beruf nicht, weder durch ihre Größe noch durch ihr Geschlecht. Möschle nickt: „Das ist ja nicht mehr wie früher, als in der Produkti- on regelmäßig 100 Kilogramm gestemmt werden mussten.“ Im Herbst schließt Kerstin Boos ihre Ausbildung zur Industrieme- chanikerin ab. Wie alle Azubis bei Meiko wird sie für zunächst ein Jahr übernommen. Und auch darüber hinaus hat sich die 19-Jährige schon Gedanken gemacht: „Ich möchte auf jeden Fall in dem Job bleiben und irgendwann meinen Meister machen.“ heo Ende April haben sich wieder tausende Schü- lerinnen und Schüler am südlichen Oberrhein einen Tag lang in sogenannten geschlechtsun- typischen Berufen ausprobiert. Doch werden die Jungen, die den Boys’ Day im Kindergar- ten verbringen, später Erzieher? Ergreifen die Mädchen, die am Girls’ Day an einer Werkbank stehen, einen technischen Beruf? Im Fall von Kerstin Boos lautet die Antwort „Ja!“

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