1 | 2018
Wirtschaft im Südwesten
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Herr Triebsch, wie schaffen es kleine Unter-
nehmen und Mittelständler, an öffentliche
Aufträge zu kommen?
Zunächst einmal müssen die relevanten Aus-
schreibungen gefunden werden. Hier kön-
nen die Unternehmen den wöchentlichen
Ausschreibungsdienst der Auftragsbera-
tungsstelle nutzen oder selbst auf den ein-
schlägigen Internetseiten wie
www.service. bund.derecherchieren. Gerne unterstützt
das Team der Auftragsberatungsstelle hier-
bei. Eine weitere Möglichkeit besteht durch
die Aufnahme in die von der Auftragsbera-
tungsstelle geführte Bieterdatenbank. Hier
können Unternehmen anhand des individu-
ellen Leistungsprofils bei Markterkundungen,
beschränkten Ausschreibungen oder auch
freihändigen Vergaben, die künftig Verhand-
lungsvergabe heißen, von öffentlichen Auf-
traggebern gefunden werden.
Haben kleine und mittelständische Betriebe
Nachteile gegenüber großen Unternehmen
und ihren Fachspezialisten auf dem Gebiet?
Grundsätzlich soll das Vergaberecht dazu
dienen, dass alle bietenden Unternehmen die
gleichen Chancen haben. Dass dies faktisch
in der Praxis nicht immer so ist, liegt auf der
Hand. Jedoch sind die Vergabestellen dazu
angehalten, Ausschreibungen mittelstands-
freundlich zu gestalten, zum Beispiel bei
großen Mengen diese in kleinere Losgrößen
aufzuteilen. Kleinere Unternehmen können
versuchen ihre Stärken, wie beispielsweise
eine schnelle Reaktionsfähigkeit, entspre-
chend auszuspielen. Zudem sind häufig Kla-
gen der Vergabestellen zu hören, dass es zu
wenige oder sogar gar keine Bewerber auf ak-
tuelle öffentliche Ausschreibungen gibt. Die
Chancen für kleine und mittelgroße Unter-
nehmen sollten also nicht so schlecht sein.
Wie unterstützen Sie die Betriebe im Rennen
um öffentliche Aufträge?
Das Unterstützungsangebot umfasst sowohl
die Erstberatung, Inhouse-Schulungen, In-
formationsmaterialien als auch eine große
Bandbreite an Veranstaltungen zum Verga-
berecht. Hinzu kommt die Hilfestellung bei
der Recherche nach öffentlichen Aufträgen,
die Durchführung von Zubenennungen und
das Führen des amtlichen Verzeichnisses
präqualifizierter Unternehmen, kurz: AVPQ.
Mit welchen Hindernissen haben die Unter-
nehmen am meisten zu kämpfen?
Zu den größten Hindernissen für Unterneh-
men zählt mit Sicherheit das rechtzeitige
Bereitstellen sämtlicher geforderter und
aktueller Unterlagen innerhalb der angege-
benen Frist. Hier droht der Ausschluss am
Vergabeverfahren aus formellen Gründen,
bevor das Bieterrennen überhaupt richtig
gestartet wurde. Eine Erleichterung stellt
hier das neu eingeführte AVPQ dar. Weitere
Informationen sind unter
www.amtliches- verzeichnis.ihk.dezu finden.
Stichwort elektronische Ausschreibungen
seitens der öffentlichen Hand. Für Betrie-
be kann das ein Problem sein oder werden,
wenn sie hier nicht mitziehen. Wie schätzen
Sie hier die Entwicklung ein?
Das Thema „eVergabe“ hat sich lange Zeit
sehr schleppend entwickelt, in den letzten
Monaten aber deutlich an Fahrt aufgenom-
men. Hintergrund ist, dass alle Vergabestel-
len bis spätestens zum 18. Oktober 2018 die
Voraussetzungen für die „eVergabe“ bei EU-
weiten Ausschreibungen erfüllen müssen.
Andere Verfahrenswege wird es nicht mehr
geben. Sehr wahrscheinlich wird dies auch
für nationale Ausschreibungen über kurz
oder lang entsprechend umgesetzt werden.
Unternehmen sollten, um auch zukünftig an
öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen zu
können, sich rechtzeitig darauf einstellen.
Interview: bk
HOLGER TRIEBSCH
Holger Triebsch, geboren 1977, hat Be-
triebswirtschaft an der Dualen Hoch-
schulen Baden-Württemberg (DHBW)
studiert und über zehn Jahre im Firmen-
kundengeschäft bei verschiedenen Re-
gional- und internationalen Großbanken
gearbeitet. Seit Januar 2014 leitet er die
IHK-Auftragsberatungsstelle Baden-
Württemberg. Als zentrale Serviceein-
richtung der Industrie- und Handelskam-
mern im Land berät diese Unternehmen
und Vergabestellen in allen Fragen zu
öffentlichen Ausschreibungen aus dem
Liefer- und Dienstleistungsbereich. Sie
organisiert Veranstaltungen zum Ver-
gaberecht, führt Zubenennungen durch
und bietet den Eintrag in das amtliche
Verzeichnis präqualifizierter Unterneh-
men (AVPQ) an.
Holger Triebsch über die Chancen, an öffentliche Aufträge zu kommen
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Kleine können
ihre Stärken
ausspielen
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