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Wirtschaft im Südwesten
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Modelle werden einzelne Teile ebenfalls gedruckt – und
auch für Funktionsmodelle: „Ein Stuhl besteht aus 120
Teilen, die miteinander funktionieren müssen.“ Wollen
die Entwickler zum Beispiel wissen, wie ein Hebel zur
Höhenverstellung arbeitet oder ob die Befestigung
des Polsters mit einer Leiste gut klappt, drucken sie
auch diese Teile. Oder sie lassen sie von einem Dienst-
leister drucken, zum Beispiel aus Polyamid 12, einem
Kunststoff mit besonderer Festigkeit. Günstiger und
schneller als die Einzelteile zu fräsen oder zu gießen
ist das allemal.
Prototypen zu drucken, sei seit 20 Jahren gang und
gäbe, sagt Grasse. Aktuell starte das Unternehmen
ein Projekt zu 3D-Druck in der Fertigung. „Wir wol-
len das Additiv Manufacturing nicht verpassen und
Erfahrungen sammeln, wo es Sinn machen könnte.“
Sicher nicht bei Standardbauteilen der Bestseller, von
denen Sedus auch mal 60.000 Stück verkaufe. Aber
vielleicht bei Einzelteilen, die der Kunde individuell
bestimmen kann, wie etwa bestimmte Stützstruktu-
ren im Polster. „Das Projekt ist noch ergebnisoffen“,
betont Grasse.
D
er Sensorhersteller Sick in Waldkirch hat sich
vor sechs Jahren den ersten 3D-Drucker gekauft,
er arbeitet mit flüssigem Kunststoff, der mit UV-
Licht ausgehärtet wird. „Damit drucken wir Muster, um
Funktionen zu prüfen“, sagt Reinhard Faiß, Gruppen-
leiter Rapid Prototyping. Weitere Einsatzfelder seien
Messeexponate – oder auch einzelne Hilfsmittel für
Montagen. Inzwischen ist noch eine Lasersinter-Anlage
für Polyamid dazugekommen, mit der sich bestimmte
Teile für Sondermaschinen drucken lassen. „Aufträge für
Druckverfahren, die wir nicht selbst können, vergeben
wir an Dienstleister“, sagt Faiß. Sick habe mehr als fünf
Jahre Produkte aus 3D-Druckern gekauft, bevor eine ei-
gene Maschine angeschafft wurde. „In dem Bereich tut
sich sehr viel Interessantes“, sagt Faiß. Spannend seien
zum Beispiel Technologien, die verschiedene Materialien
gleichzeitig drucken können.
N
och deutlich weiter in die Zukunft weist das
ebenfalls vom BMBF geförderte Projekt „3D-
Bio-Net“. Sein Ziel: der Druck von lebendem
Gewebe. „Wir sind ein Verbund von Forschungsinsti-
tuten mit kleinen und mittleren Unternehmen – man
muss bei diesen Themen nicht warten, bis die Großen
einen Trend setzen“, sagt Peter Koltay. Der promovierte
Physiker vom Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK)
der Uni Freiburg ist Sprecher des Projekts; das von ihm
gegründete Biotechunternehmen Bio Fluidix ist ebenso
dabei wie die Freiburger Firma Cell Genix, die Unikli-
nik und weitere. „Es geht um die additive künstliche
Herstellung von lebenden Geweben und Organen“,
sagt Koltay. Ein Drucker soll das Gewebe Schicht für
Schicht direkt aus lebenden Zellkulturen aufbauen,
zum Beispiel ein Stück funktionsfähige Knochen oder
Niere. „Die ‚Tinte‘ des Druckers besteht aus Zellen und
Hydogelen“, sagt Koltay, „das Material ist lebendig und
kann auch entsprechend geschädigt werden.“ Das be-
deutet eine Reihe zusätzlicher Schwierigkeiten, von der
Frage nach geeigneten Baumaterialien über mögliche
Veränderungen der Zellen bis hin zur Nährstoffversor-
gung des Gewebes während des Druckens.
Das Projekt will in drei Jahren Hard- und Software
für einen generischen 3D-Bio-Printer entwickeln und
zwei Beispielanwendungen auf den Weg bringen: Ein
sogenanntes Organ-on-chip, das heißt funktionsfä-
higes Organgewebe, an dem zum Beispiel Wirkstoffe
im Reagenzglas getestet werden können. Langfristig
könnten solche lebenden Modelle der personalisierten
Medizin dienen und Tierversuche ersetzen. Zum ande-
ren wollen die Forscher Knochengewebe für klinische
Anwendungen drucken. Bis zum medizinischen Einsatz
sei es aber noch ein weiter Weg, sagt Koltay: „Wir sind
mitten in der Forschung.“
D
er 3D-Druck habe ein großes Potenzial in
vielen Bereichen, betont Thomas Wolf, Ge-
schäftsbereichsleiter Innovation bei der IHK
Schwarzwald-Baar-Heuberg: „Früher oder später wird
der 3D-Druck eine Standardtechnologie in vielen Pro-
duktionshallen werden.“ Neben dem Prototypenbau,
der Individualisierung in der Medizintechnik und der
Biotechnologie nennt Wolf auch Veränderungen für
Konsumenten: „Wenn ich zum Beispiel eine seltene
Jacke habe, an der ein Knopf fehlt, kann ich mit meiner
Webcam und entsprechender Software einen anderen
Knopf scannen, die Datei an einen Dienstleister schi-
cken und erhalte einen ausgedruckten Ersatzknopf.“
Solche „Mass Customization“ genannte, indivi-
dualisierte Produktion von Massenartikeln werde
durch den 3D-Druck enorm zunehmen – von der
bloßen Farbgestaltung durch den Kunden bis etwa
zu Sportschuhen mit passgenau gefertigten Sohlen.
„3D-Druck wird nicht nur die Industrie verändern“,
sagt Wolf. „Sondern auch das Konsumverhalten der
Leute.“
Thomas Goebel
Klaus-Peter Grasse von
Sedus Stoll zeigt ein im 3D-
Drucker gefertigtes Teil eines
Stuhl-Prototyps.
IHK Hochrhein-Bo-
densee:
Sunita Patel,
Tel. 07531 2860-126,
sunita.patel@ konstanz.ihk.deIHK Schwarzwald-
Baar-Heuberg:
Thomas Wolf,
Tel. 07721 922-515,
wolf@vs.ihk.deIHK Südlicher Ober-
rhein:
Philipp Klemenz,
Tel. 0761 3858-269,
philipp.klemenz@ freiburg.ihk.deBild: Goebel