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12 | 2017

Wirtschaft im Südwesten

41

THEMEN & TRENDS

D

as Modell geht zurück auf den

Österreicher Christian Felber

und wurde 2011 in Wien

ins Leben gerufen. Es stellt weni-

ger das traditionelle Streben nach

pekuniärem Gewinn in den Mittel-

punkt wirtschaftlichen Handelns als

Werte wie Menschenwürde, Solida-

rität und Gerechtigkeit, ökologische

Nachhaltigkeit sowie Transparenz

und Mitentscheidung. Mittlerweile

gibt es über 100 Regionalgruppen,

mehrere Tausend Unterstützerfir-

men sowie Gemeinden, Regionen

und Länder, die sich der Idee öff-

nen. In Stuttgart arbeitet ein Verein

Gemeinwohl-Ökonomie, in Freiburg

eine Regionalgruppe, und die Lan-

desregierung will ein Pilotprojekt Ge-

meinwohlbilanz anstoßen. Anwender

des Modells sind beispielsweise der

Sportbekleidungshersteller Vaude,

die Sparda-Bank oder eben Taifun-

Tofu, um einige größere Unterneh-

men zu nennen. Aber auch öffent-

liche Verwaltungen nehmen teil wie

die Landeshauptstadt Stuttgart. So

berichtete die Fraktionsvorsitzende

der Grünen im Stuttgarter Stadtrat

Anna Deparnay-Grünenberg über

die Einführung der Gemeinwohlöko-

nomie beispielsweise beim Eigenbe-

trieb Leben und Wohnen.

Wie wird nun der Gemeinwohlstatus eines Unterneh-

mens gemessen? Dafür gibt es die Gemeinwohlbilanz,

die wiederum mit einer Gemeinwohlmatrix zunächst

in Eigeneinschätzung erfasst wird. Diese Matrix um-

fasst Lieferanten, Eigentümer/Finanzpartner, Mitar-

beitende, Kunden und das gesellschaftliche Umfeld.

Sie werden nach den oben genannten Stichworten Menschenwürde,

Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie

Transparenz und Mitentscheidung eingeordnet. Anschließend prüft

und bewertet ein externer „GWÖ-Auditor“ die Angaben. Mithilfe

eines Punktesystems ergibt sich ein direkter Vergleich zwischen

der Selbsteinschätzung und der Einschätzung des Auditors. Das

Resultat wird in einem Auditbericht offengelegt. Die erreichte Ge-

samtpunktzahl ergibt die sogenannte Bilanzsumme. Daran lässt

sich der Beitrag, den das Unternehmen für das Gemeinwohl leistet,

erkennen, messen und auch vergleichen. Die Vergleichbarkeit er-

streckt sich sowohl auf andere Unternehmen, als auch auf erneute

spätere Messungen, mittels derer

man Fort- oder Rückschritte fest-

stellen kann, nachdem entspre-

chende Maßnahmen im Unterneh-

men eingeleitet worden sind.

Für eine solche Bilanzierung müs-

sen im Unternehmen ein starker

Wille, die Mitarbeit aller sowie

Konsequenz vorhanden sein.

Alfons Graf, Geschäftsführer

bei Taifun, berichtete von einem

dreijährigen Prozess und 1.000

Arbeitsstunden, die investiert

wurden. Erkenntnisse, wie man

sich in welchem Bereich wei-

terentwickeln kann, hätten sich

ebenso ergeben wie eine hohe

Transparenz gegenüber Kunden,

die diese zur Ausgestaltung ihrer

Geschäftsbeziehungen schätzten.

Das Modell kann also auch zu ei-

nem Wettbewerbsvorteil werden.

Die Firma Zündstoff hat laut ihrem

Geschäftsführer Sascha Klemz

circa 200 Stunden aufgewendet

und vor allem mehr Transparenz

in ihre Unternehmensprozesse

sowie in die internationalen Ge-

schäftsbeziehungen (beispiels-

weise in Entwicklungsländern)

gebracht. Der neue Ansatz hat die

Waldorfschulen wiederum über-

zeugt, dass sich mit dem Modell

Bildung nicht nur vermitteln, sondern auch in der

Schule leben lässt: Wie wirtschaften wir, welche Pro-

zesse laufen bei uns ab, wo lässt sich was verbessern.

Lea Bartels, die das Café Pausenraum in Freiburg-

Zähringen betreibt, sieht das Modell als Möglichkeit,

sich in der Gruppe anderer Anwender auszutauschen

und beispielsweise beim Einkauf global zu denken und dann lokal

zu handeln. Für Christoph Hecklau von Focus Energie schließlich

ist es klar, dass die Gemeinwohl-Ökonomie naheliegt, wenn man

Nachhaltigkeit als Ziel verfolgt. Umdenken ließe sich infolge einer

Gemeinwohlbilanz gar nicht mehr verhindern und damit auch Ver-

änderungen im eigenen Handeln.

Ob und wie sich das Modell weiterverbreitet, wird sich zeigen. Eines

der nächsten Ziele ist es jedenfalls, auch Großunternehmen ins

Boot zu holen. Bei vielen könnte dadurch ein Anreiz gegeben sein,

dass sie bereits nach EMAS bilanzieren und/oder einen Umwelt-

beziehungsweise Nachhaltigkeitsbericht aufstellen.

orn

»Das Modell

kann zum Wett-

bewerbsvorteil

werden«

Sechs Unternehmen aus dem Raum Freiburg

– der Tofuhersteller Taifun, das Planungsbüro

Focus Energie, das Modegeschäft Zündstoff,

das Café Pausenraum sowie zwei Waldorfschu-

len – haben jüngst über ihre Erfahrungen mit

der Gemeinwohl-Ökonomie berichtet.

Menschenwürde, Solidarität, Nachhaltigkeit: Freiburger Firmen wenden alternatives Wirtschaftsmodell an

Gemeinwohl-Ökonomie zieht an

Bild: James_Thew-Fotolia